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Rattentanz

Titel: Rattentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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»Es ist ruhiger geworden? Für dich vielleicht, Möwe. Für dich.«
    Sie trippelte noch ein Stück näher, war jetzt höchstens noch einen Meter entfernt, schräg über Hans Seger. Sie betrachtete den Menschen, stellte dann den Schwanz auf und ein enormer Schwall Möwenscheiße platschte hinter dem Tier auf den Bretterboden der Veranda. Sie schüttelte sich und hüpfte vom Geländer. Dann beäugte sie die Wasserflasche – Möwen sind neugierig. Ihr silbergraues Gefieder glänzte. Noch ein sichernder Blick zu Hans, dann trippelte sie zu seiner Flasche und pickte daran. Die Flasche rollte ein Stück zur Seite. Wieder der kalte Blick zu Hans. Sie wiederholte ihr Picken und den anschließenden Blick zu Hans vier Mal, dann lag die Öffnung der Flasche etwas tiefer als der Rest und das kostbare Wasser sprudelte heraus. Der Vogel hüpfte zurück, äugte zu Hans, dann zur Flasche.
    »Jetzt tu nicht so unschuldig«, sagte Hans. Oder glaubte er nur, etwas Entschuldigendes an ihr zu entdecken? Die Möwe trippelte sofort wieder ein Stück heran, streckte ihren Kopf vor und tauchte den kräftigen gelben Schnabel in die kleine Süßwasserpfütze. Sie trank. Von seinem unerreichbaren Wasser trank sie!
    »Mach, dass du wegkommst!« Hans wedelte mit den Füßen. Das Tier flatterte zur Seite und schien den Abstand von der Flasche zu ihm zu beurteilen. »Kscht!« Wieder streckte er ein Bein aus, aber diesmal interessierte es die Möwe schon nicht mehr. Sie wusste zwar nicht warum, aber sie wusste, dass von diesem Menschen keine Gefahr für sie ausging. Wozu hat man Instinkte? Und sie trank wieder von seinem Wasser.
    »Du sollst mein Wasser in Ruhe lassen, du dämlicher Vogel!« Hans streckte sich, aber das Tier blieb außer Reichweite. Mit beinahe mensch licher Gelassenheit betrachtete die Möwe seine lächerlichen Bemühungen. Obwohl es nur wenige Hundert Meter weiter einen kleinen Bach gab, bevorzugte sie aus unerfindlichen Gründen das Wasser aus Hans’ Flasche. Und da sie schon einmal da war und dieser Mensch ihr seine nackten Füße hinstreckte, konnte sie auch gleich von seinen Ze hen kosten.
    »Au! Mistvieh!«
    Etwas zu schnell zog er die Beine zurück, rutschte dabei von der Veranda ab und fiel eine Stufe tiefer. Dabei wurden seine hinter dem Rücken gefesselten Arme nach oben gezogen. Die Schmerzen jagten wie Blitze durch Hans’ Schultergelenke. Er verzog das Gesicht und stöhnte. Er kletterte wieder in seine alte Position zurück, der Schmerz ließ nach und langsam entspannte er sich. Die Möwe verfolgte jede seiner Bewegungen ohne sich aber auch nur einen Schritt von ihrer Beute zu entfernen. Die Flasche und das Wasser gehörten jetzt ihr.
    Hans gab auf. »Kannst sie behalten. Was will ich schon damit. Und in zwei oder drei Tagen bekommst du mich gratis dazu. Dauert es so lange, bis man endlich verdurstet ist? Oder länger? Je nach Wetter, schätze ich. Kannst du noch so lange warten?« Wieder sah die Möwe herüber und auf seine nackten Füße. Hans zog sie näher zu sich heran.
    Es gab keine Chance. Entkommen ausgeschlossen.
    Ein paar Minuten später schlief er ein. Die Schmerzen in den Handgelenken wichen einer dumpfen Gefühllosigkeit. Die Möwe hockte neben der Flasche am Boden. Ihre gelben Augen kamen immer wieder zu ihm zurück.

76
    19:00 Uhr, nahe Trelleborg, Südschweden
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    »Ich halt das nicht mehr aus!« Malow schlug gegen das Armaturenbrett. Nicht bremsen! Nicht zögern! Wer zögert, hat hier schon verloren!
    Mit Vollgas raste er auf die wartenden Männer zu. Von der Gegenwehr überrascht, rannten die in letzter Minute auseinander und plötzlich war da das Feuer, um das sie bis eben noch gesessen hatten. Mitten auf dem Asphalt loderten Flammen und der alte Suzuki steuerte exakt auf sie zu.
    »Festhalten!«, schrie Malow, dann ein Aufprall und der Schmerzensschrei des Getroffenen, gleich darauf holperte es und Funken flogen in den Wagen. Ein Knall, Reifenteile flogen durch die Luft. Der Wagen schlingerte. Malow ging kurz vom Gas und das Fahrzeug unterwarf sich wieder seiner Steuerung. Weg! Weit weg! Irgendwohin, wo es keine Menschen gibt, dachten beide.
    Ohne zu wissen, wo sie sich befanden, steuerten sie durch die Stadt. Hinter jeder Ecke, in jedem Haus vermuteten sie Schläger und Mörder und Vergewaltiger. Nach wenigen Biegungen erreichten sie das Meer. Still und friedlich wartete es auf sie. Ein Meer ohne Schiffe. Die, sah Tina, während Malow eine kleine Promenade ansteuerte, lagen im Hafen, aber

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