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Rattentanz

Titel: Rattentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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in Hamburg oder Moskau oder …
    PARIS!, schrie Nummer zwei dazwischen.
    Thomas suchte rechts und links der Tür nach dem Telefon. Auf der rechten Seite − Natürlich rechts. Wenn man sich recht erhängen will, dann muss das Telefon rechts sein. Hihi, und alles wird recht, wenn’s recht ist, solange es nur, hihi, rechts ist − fand er den Apparat. Als seine Fingerspitzen aber den rauen Kunststoff des Hörers und die in sich gewundene lange Schnur entdeckten, fuhr er zurück als habe er sich verbrannt. Wie viele Menschen mochten wohl schon damit telefoniert haben? Hunderte? Tausende?
    Andererseits hatte Thomas noch nie jemanden in einem Aufzug telefonieren sehen.
    Er war nervös und knabberte an seinem Daumen, wo die kleinen Wunden, die entstanden, wenn er in Gedanken verloren die Haut abnagte, nie verheilten.
    Also ich würde das Dreckding da nie und nimmer anfassen! , Nummer drei war da! Stell dir vor, ein Tuberkulosekranker hat seinen feuch ten Sabber da reingehustet. Oder Aidskranke! Wir sind hier in einem Krankenhaus, sicher gibt’s da auch Aidskranke, die, mit nässenden Ei terschwielen an den Händen, gern mal irgendwo ungestört mit ihrem Lover telefonieren. Nein, nein, nicht anfassen. Bloß nicht anfassen.
    Und was dann?, dachte Thomas.
    Auf mich hören und in Zukunft die Treppe nehmen!
    Welche Zukunft hihi, wenn ich fragen darf?
    In Zukunft auf mich hören! Und vielleicht doch um Hilfe rufen? In Filmen ist doch immer eine Klappe in der Decke. Klettern wir doch ein- fach alle raus.
    Oh ja, Nummer drei schien begeistert, wir klettern auf die Kabine und wenn wir oben sitzen, peng, kommt, hihi, der Strom wieder und der Aufzug rast in den, in den, na, in welchen Stock denn gleich? Wo sitzt unser lieber Onkel Doktor?
    »Im dritten.«
    Richtig. Und das wäre dann ja wohl gaaaaaanz oben, wo wir schön gemütlich zerquetscht werden, hihihi. Also los, worauf wartest du. Komm, kleiner Tommy, komm, lockte die schrille Stimme.
    09:18 Uhr, Krankenhaus Donaueschingen
    Techniker der Klinik versuchten die Fahrstühle, die sich zum Zeitpunkt des Stromausfalls in Bewegung befanden und zwischen zwei Etagen stehen geblieben waren, gewaltsam zu öffnen. Im Normalfall (Aber was war heute noch normal?) waren die Aufzüge in das vom Not strom versorgte System integriert. Sie durften zwar nicht mehr benutzt werden, setzten aber wenigstens ihre begonnene Fahrt fort. Aber nicht heute − und keiner wusste, warum. Von den acht Fahr stühlen der Klinik, von denen sich sechs parallel zum Treppenhaus befanden, waren drei betroffen, steckten also zwischen zwei Etagen fest.
    Eine Köchin saß zusammen mit einer Palette tiefgefrorener Schwei nekoteletts im Lastenaufzug zwischen Küche und Tiefkühllager. Wegen der Hitze, die sie den ganzen Tag in der Küche umgab, trug sie nur eine dünne Schürze über ihrer Unterwäsche. Die enge Kabine, in welche die Holzpalette gerade eben so hineinpasste, war nach einer Stunde völlig ausgekühlt. Die Köchin konnte ihren Atem sehen. Ihre nackten Füße schmerzten zuerst, als sie sich rot verfärbten. Später nahmen sie eine erschreckende Blässe an, die allerdings recht gut zum Dunkelblau ihrer Sandalen passte. Als die beiden Techniker zwanzig nach neun mit zwei Brechstangen die Tür aufhebelten, saß die Frau völlig unterkühlt in der engen Kabine. Sie wurde nach draußen gebracht und langsam wieder aufgewärmt. Wie weltweit jeder andere Teilnehmer blieb auch die Servicehotline der Aufzugsfirma unerreich bar und die beiden Techniker mussten sich nun, mit einem flauen Gefühl im Bauch, um den zweiten Fahrstuhl kümmern, aus dem ihnen jemand antwortete. Es handelte sich um einen der drei geräumigen Las tenaufzüge an der Rückseite des Treppenhauses. Eine Krankenschwester wartete darin, eingesperrt mit einem bettlägerigen Patienten. Beide waren gerade auf dem Weg zurück aus der Röntgenabteilung, als der Strom ausfiel. Der Patient, ein massiger Hypochonder, saß aufgrund seiner immensen Körperfülle Tag und Nacht aufrecht im Bett. Das Kopfteil war maximal aufgestellt, denn nur so − und mit einer gehörigen Portion Sauerstoff, den er stets in der Nähe hatte − glaubte er einigermaßen ausreichend atmen zu können.
    Für den Transport in die Röntgenabteilung und zurück befand sich eine Fünfliter-Flasche mit Sauerstoff am Kopfende des Bettes. Nach einer Stunde in der Schwebe zwischen erster und zweiter Etage der Klinik war die Flasche leer.
    Die unerfahrene und erst seit wenigen Wochen

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