Rattentanz
unser Ende warten! Los, Tommy, los! Rufe. Los, ruf doch end lich!
Nein! Bleib, wo du bist, sonst bringst du uns alle in Gefahr!
Denk an deine Kraft! Nur du kannst dich retten, nur du kannst deine Kraft finden und entfalten!
Jetzt ruf doch! Biiiitte!
»Halleluja, wenigstens einer, den wir nicht ruinieren müssen!«, rief da eine Männerstimme. Es folgte ein Klatschen gegen die Kabinentür, dann entfernten sich Schritte.
Thomas blieb lange sitzen. Er zitterte und sein Puls raste durch seinen Körper. Er hielt sich weiter die Fäuste an die Ohren und erwartete jeden Moment neue Donnerschläge, neues Weinen, Schreie, Hilferufe und quietschendes Metall.
Aber diesmal hielt die Stille an, war es eine ehrliche Ruhe, wenn es die denn gibt. Aber, da es eine trügerische Ruhe gab, musste Ruhe auch ehrlich sein können. So, wie diese Ruhe.
Nach Sekunden, Minuten oder nach Stunden, er hatte jegliches Zeit gefühl in der Dunkelheit verloren, kehrte sein Leben zu ihm zurück. Und mit ihm Hunger. Und Durst. Quälender, brennender Durst!
11
10:21 Uhr, Krankenhaus Donaueschingen, Haupteingang
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Der geräumige Eingangsbereich der Klinik hatte sich währenddessen in eine Hexenküche verwandelt. Immer mehr Leicht-und Schwerverletzte kamen aus der Stadt und der nahen Umgebung. Es kamen Patienten, die sich bei dem Versuch, die offensichtlich defekten Wasser-und Stromanschlüsse zu reparieren, verletzt hatten, Menschen, denen der abrupte Verlust ihrer gewohnten Lebensumstände (kein Radio, kein Fernsehen, keine Telefon-und Internetverbindungen, kei ne funktionierende Kaffeemaschine, keine Mikrowelle, kein Licht) der maßen zusetzte, dass sie von Angehörigen mit Herzrasen oder Atemnot eingeliefert wurden. Bei der Mehrzahl der Kranken handelte es sich allerdings um Unfallopfer.
Ausgefallene Ampelanlagen waren zwar die einzige direkte Auswirkung des nunmehr schon dreistündigen Stromausfalls, jedoch führten Verunsicherung und Angst dazu, dass Verkehrsregeln plötzlich nicht mehr anerkannt wurden, die Autofahrer unkonzentriert fuh ren oder aber ein Verhalten zeigten, das ihnen im Normalfall völlig fremd gewesen wäre. Die sich schnell herumsprechende Nachricht von den abgestürzten Flugzeugen tat ein Übriges, um aus Ordnung Chaos und aus dem antrainierten Miteinander einer funktionierenden Gesellschaft ein egoistisches Gegeneinander zu machen.
Der große Wartebereich am Haupteingang hatte sich mit Leichtverletzten, vor allem aber mit Angehörigen gefüllt, die sich aus Sorge um ihre Kranken und abgeschnitten von jeder Kommunikationsmöglichkeit auf den Weg gemacht hatten, in der Klinik nach ihrem Mann, der Frau, einem Elternteil oder Kind zu sehen. Erschienen zuerst nur wenige Menschen, so strömten jetzt immer mehr in das Haus, wie von einem unsichtbaren Magneten angezogen. Als nun das Stimmen gewirr immer lauter und ungeduldiger wurde, sah sich der Klinikleiter genötigt einzugreifen. Verwaltungsleiter Tröndle stieg auf einen niedrigen Tisch, von dem man eilig die Blumenkübel geräumt hatte, und versuchte Ordnung in das zunehmende Chaos zu bringen. Obwohl er nach mittlerweile fünfzehn Jahren in verschiedenen leitenden Positionen gewohnt war, vor größeren Menschenansammlungen zu sprechen, kam er sich doch seltsam vor. Er war mittelgroß, schlank und die grauen Haare, die der Endvierziger vermehrt bei sich entdeckte, hatte er letztens tönen las-sen. Wie immer trug Tröndle einen tadellos sitzenden dunklen Anzug. Nur die grellgelbe Krawatte, von seiner Frau ausgesucht, wirkte dem Ernst der Lage nicht angemessen.
»Hören Sie!«, probierte er, sich Aufmerksamkeit zu verschaffen. »Hören Sie bitte! Wir haben alles im Griff!« Die Gespräche verstummten. »Ihren Angehörigen geht es gut. Der Klinikbetrieb läuft dank unserer Notstromaggregate reibungslos weiter. Auch die Versorgung unserer Kranken ist gesichert.« Das Pochen in seinen Schläfen ließ nach. Allmählich fühlte er sich wieder Herr der Lage. »Im Haus befinden sich Medikamente und Nahrung, die, sollte nicht bald alles wieder beim Alten sein, mehrere Tage reichen werden. Bitte«, er zeigte auf vier im Hintergrund stehende Krankenschwestern, »bitte, wenn Sie Angehörige besuchen wollen, wenden Sie sich an die Schwes tern. Kranke oder Verletzte warten bitte hier. Wie Sie sehen«, Tröndles Blick wanderte durch den Raum, dann hatte er gefunden, wonach er suchte, »wie Sie sehen, kümmern sich hier zwei unserer erfahrenen Ärzte um die leichter Verletzten und
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