Rattentanz
drüben, hören Sie sie?« Larissas Schreie waren nicht zu überhören. »Ich habe nicht mehr genug Milch in meinen Brüsten. Und es gibt nichts, was ich ihr sonst geben könnte. Bitte.«
»Es tut uns wirklich leid. Aber wir müssen weiter«, sagte Malow und zog wieder an Hans’ Arm, diesmal heftiger.
Aber Silvia Hofmuth war nicht bereit so einfach aufzugeben. Die Männer rochen nach vollen Bäuchen, sie dufteten, als kämen sie geradewegs aus einem Supermarkt. Sie war sich sicher, dass sie in ihren Rucksäcken irgendetwas hatten, etwas, das sie selbst so dringend brauchte, sollte ihre Tochter nicht verhungern.
»Sehen Sie!« Sie ließ Hans Segers Hand los, griff sich an die Schultern und streifte ihr Kleid ab. Der unförmige Sack rutschte von ihr und sie stand splitternackt vor ihnen. Und sie hatte den schönsten und reinsten Körper, den beide Männer jemals gesehen hatten. Ihre Haut war eine Mischung aus Marmor und Samt.
»Ich bezahle auch.« Sie flüsterte. Sie schämte sich, wie seit Tagen, und hoffte, die Männer würden ihr Angebot ablehnen. Sex war etwas Grässliches und dieses eine Mal, als sie sich freiwillig und das erste Mal einem Mann hingegeben hatte, war grauenhaft. Aber sie hatte ein Kind haben wollen, hatte sich jahrelang auf diese abstoßende Nacht vorbereitet und den Termin sorgsam ausgerechnet. Mit etwas Glück, hatte sie vor eineinhalb Jahren gehofft, würde sie in dieser Nacht schwanger werden. Hätte es in dieser Nacht nicht geklappt − die Kraft für einen zweiten Versuch hätte sie niemals aufbringen können.
»Bitte, ich bezahle Sie beide, wenn Sie das möchten. Aber nachein ander.« Die Mühe, mit der sie die Worte und deren ekelhafte Bedeutung herauspresste, war Silvia anzumerken. Allein die Vorstellung, sich von diesen beiden Fremden berühren zu lassen, ihre Hände und Zungen und sabbernden Lippen zu spüren, die statt Larissa an ihren Brüsten saugten, verursachte ihr Übelkeit. Aber sie hatte es in den ver gangenen vier Tagen bereits dreimal getan und es würde auch heute irgendwie vorübergehen, hoffte sie. Wenn sie nur nicht so brutal wa ren und sie nicht hinterher schlugen oder ihr ins Gesicht spuckten wie der Kerl gestern Morgen. Weil du so abgrundtief hässlich bist, hat te er hinterher gesagt, sie angespuckt und zwei wurmstichige Äpfel nach ihr geworfen. Sie hatte sie im Gras suchen müssen. Mit dem Gesicht kannst du Tote aufwecken! Aber ihren Körper hatte er gern genommen und sie gezwungen, sein T-Shirt über ihren Kopf zu ziehen. Damit ich mir vorstellen kann, dein Gesicht wäre so schön wie deine Titten.
Hans entzog ihr seine Hand und ging einen Schritt zurück und sah zur Seite.
»Zieh dich an!«, sagte Henning Malow einen Tick zu scharf. Und, diesmal sanfter: »Zieh dich wieder an. Du hast nichts, was wir kaufen wollen.«
»Aber, ich …« Sie kämpfte gegen die aufsteigenden Tränen. Wenn die Männer jetzt gehen, dachte sie, wird es vielleicht wieder Stunden dauern, bis ein anderer alleinreisender Mann vorbei kommt. Und wenn einer kam, war es am wahrscheinlichsten, dass er selbst Hunger hatte. »Gehen Sie bitte nicht. Meine Kleine, sie hat so großen Hunger. Bitte, schlafen Sie mit mir, wenn Sie wollen auch gleichzeitig. Wenn Ihnen das gefällt, ist es mir recht. Sagen Sie mir nur, was ich tun soll, ich kenne mich nicht so gut au…«
»Haben Sie nicht gehört?! Ziehen Sie das Kleid wieder hoch!« Hans hätte schreien können. Was unternimmt Eva in diesem Moment, um Lea eine Handvoll Reis oder einen Apfel zu beschaffen? Und er war hier, immer noch knappe tausend Kilometer von ihnen entfernt!
Als Silvia keine Anstalten machte, der Aufforderung nachzukommen, ging Hans zu ihr und zog das Kleid selbst wieder nach oben. Er hasste sich für die Empfindung, als seine Hand ihre Brust berührte und fühlte sich erst wieder besser, als Silvia weinend in ihrem schmutzigen Sack vor ihnen stand. Er nahm seinen Rucksack ab und gab ihr eine Salami und zwei Stück Käse.
»Da. Nehmen Sie, bevor ich es mir anders überlege.«
»Spinnen Sie? Sie können doch nicht jeder Frau mit einem Kind un sere Vorräte geben? Vielleicht hockt irgendwo dahinten ihr Mann und Zuhälter und freut sich schon auf das Festmahl.« Malow wollte Hans Wurst und Käse aus der Hand nehmen, aber Silvia war schneller. Ihre riesigen Augen lächelten ihn durch ihre Hornbrille dankbar an. Hans wusste, diese Frau war wirklich allein mit ihrer Kleinen. Es gab weit und breit niemanden, auf den sie zählen
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