Rattentanz
einig.
»Bitte, versuchen Sie es doch in unserer Hauptniederlassung. Es sind doch nur ein paar Minuten von hier!« Doch sein Rat fiel auf unfruchtbaren Boden.
»Also, wenn Sie mir nichts geben wollen, hebe ich meine Kohle halt selbst ab.« Der Mann, der nach Alkohol roch, hatte seine Zigarette ausgetreten und wollte sich durch die schmale Öffnung in den Tresorraum zwängen. Der Filialleiter griff nach dem Stemmeisen, das die beiden Maurer in ihrem Auto gehabt hatten und welches beim Öffnen der Tür wertvolle Hilfe geleistet hatte. Jetzt klemmte es so zwischen Türrahmen und Tür, dass diese etwa dreißig Zentimeter weit offen ge halten wurde. Er zerrte, versuchte das Eisen zu entfernen. Das immense Gewicht aber, mit dem die Tür diesen Keil eingeklemmt hatte, machte sein Unterfangen aussichtslos.
So war es gekommen, dass der Sozialhilfeempfänger Hermann Fuchs, dreiundfünfzig, der erste Kunde dieses Morgens wurde. Dass er mit dem, was er abhob, sein Konto allerdings um fast zwanzigtausend Euro überzog, war ihm egal. Der Herr mit dem Mercedesschlüssel be-gnügte sich mit dreitausend Euro. Im Kundenbereich nahm er sich noch ein Blatt Papier und hinterließ dieses als Quittung auf einem der Schreibtische, ausgefüllt mit seinem Namen und Anschrift, dem abgehobenen Betrag und seiner Telefonnummer. Seine gewichtige Unterschrift nahm fast das gesamte untere Drittel des Bogens ein.
Die Kunde, dass diese Sparkassenfiliale heute besonders großzügig auszahlte, verbreitete sich dank der Hilfe des ersten Kunden zügig un ter den Passanten in der Nähe.
Um 9:45 Uhr war dann die vierköpfige Polizeistreife eingetroffen und hatte dem Treiben ein Ende gesetzt. Aber, wie Meinhoff und Beck im Keller der Bank feststellen mussten, war der Tresor inzwischen leer. Nur einige wenige Papiere lagen noch am Boden. Sarah di Sario und Christian Wegmann, die oben den Haupteingang sichern sollten, schafften es nur mit Mühe und gezogenen Waffen, die gierige Menge auf Distanz zu halten.
»Ach, die Geldsäcke wollt ihr beschützen, was?«, rief eine junge Frau mit einem Dreijährigen auf ihrem Arm. »Sagt uns lieber, wann der Strom wieder kommt und warum die Flugzeuge abgestürzt sind. Sagt mir, wann ich endlich Geld abheben kann und wann der Lebensmittelladen da vorn wieder öffnet!« Wütend war die Frau, deren Kind inzwischen zu schreien begonnen hatte, auf di Sario zugegangen. Die hielt ihre Waffe in Richtung der Frau.
»Seht ihr das?«, rief die Frau den Umstehenden zu. »Bedroht eine Mutter mit ihrem Kind! Und du willst Polizistin sein? Pfui, schäm dich!« Sie spuckte Sarah di Sario ins Gesicht.
Die junge Polizistin, erstmals mit einer wütenden Menschenmenge konfrontiert, hatte daraufhin in die Luft geschossen. Wegmann sprang ihr noch in den Arm, ein weiterer Schuss löste sich und noch einer und die vierte Kugel, die Sarah di Sario abfeuerte, traf einen Zwölfjährigen, der etwas abseits auf seinem Fahrrad saß und neugierig zu sah, mitten in die Stirn. Er merkte nicht, dass er getroffen wurde, er fiel einfach nur mit seinem Fahrrad um.
Das Scheppern, mit dem der Drahtesel aufschlug, die glasigen Augen des Jungen und die Einschussstelle auf seiner Stirn, die wie ein drittes Auge genau mittig saß, ließen die inzwischen etwa einhundert Menschen erstarren. Es war fast völlig still, nur ein Motorroller knatterte vorbei und von den Dächern der Häuser war das Gurren balzen der Tauben zu hören, sonst nichts.
Sarah kamen die letzten Sekunden ihres Lebens endlos vor. Sie hatte den Stein langsam auf sich zufliegen sehen. Ein Mann mit Bart hatte ihn vom Gehweg aufgelesen und nach ihr geworfen. Sie sah seine Augen, die Augen eines wütenden Familienvaters, mit einem Zwölfjährigen zu Hause, dessen Fahrrad sie im letzten Winter zusammen repariert und neu lackiert hatten. In seinen Augen flackerte Hass.
Der Stein, er war oval, wie ihr auffiel, und schwarz und weiß marmoriert, zerschnitt langsam die Luft. Sie hatte das Geräusch genau gehört, das er hinter sich herzog und welches sie an Hubschrauberrotoren erinnerte. Je nachdem, wie der Stein sich drehte, machte er ein lauteres oder tieferes Geräusch. Zeitlupenbilder. Zeitlupengeräusche. Als der Stein sie an der Schläfe traf, schoss ein Reflex ihrer Hand das Magazin der Heckler & Koch P7 leer. Vier Schuss befanden sich noch im Magazin, vier Treffer, fast alle in der vordersten Reihe. Dann traf sie eine Faust ins Gesicht, eine weitere in den Magen. Sie schoss weiter, aber die
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