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Rattentanz

Titel: Rattentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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Ritter lächelte. Beck war sicher einer von der Sorte Mann, die sich erst in Uniform als Mann fühlen, dachte er. Ohne den offiziellen Ornat würde er übersehen, eventuell milde belächelt.
    Er hielt dem Polizisten die Rettung entgegen und klimperte mit den Schlüsseln. »Komm, kannst sie haben, wenn du willst, Bulle. Musst sie dir nur holen.«
    In diesem Moment flog ein weiterer Pflasterstein zwischen die Gitterstäbe hindurch, traf einen Schreibtischstuhl an der Lehne und prallte ab. Der Stuhl drehte sich zweimal um die eigene Achse, während der Stein Daniel Ritters Knöchel traf.
    »Au, Scheiße noch mal!«, fluchte der Getroffene und griff sich an den Fuß. »Hört auf, ihr Idioten, ich mach euch gleich die Tür auf!«, brüllte er Richtung Straße, aber da die Fenster von der Straße aus so weit oberhalb lagen, dass keiner ohne Leiter hineinsehen konnte und somit auch niemand Ritter sah, erntete sein Gebrüll nur Hohn und Gelächter.
    Beck nutzte den kurzen Augenblick der Unkonzentriertheit seines Gegenübers und hechtete über den Schreibtisch. Er blieb dabei mit einem Fuß an Salms hypermoderner Schreibtischlampe hängen und stürzte kopfüber auf den Boden.
    »Na, du hast es aber eilig!« Ritter lächelte böse. Vor ihm lag Joachim Beck hilflos auf dem Rücken. »Du siehst echt scheiße aus, Bulle, weißt du das eigentlich?« Durch das Fenster flog ein weiterer Stein und zerschlug Salms Lampe. »Eh, machst du dir etwa in die Hosen?« Im Schritt von Becks Hose wurde ein dunkler Fleck schnell größer.
    »He Leute, der Bulle bepisst sich gerade!«, brüllte Ritter und warf den Schlüsselbund auf den Schreibtisch, um für das, was er jetzt tun wollte, beide Hände freizuhaben.
    »Ich an deiner Stelle hätte jetzt auch Angst«, flüsterte Ritter. Beck versuchte, auf dem Rücken liegend und mit weit aufgerissenen Augen, von seinem Gegner wegzurobben − aber mit zwei großen Schritten war der über ihm und setzte dem Polizisten seinen schweren Lederschuh auf die Kehle. »Und jetzt? Ohne deine Knarre und deine schwulen Bullenkumpels bist du ganz schön blöd dran, he? Bepisst dich vor Angst und versuchst einfach wegzukrabbeln, was? Statt, dass du kämpfst wie ein richtiger Mann!« Ritter verlagerte einen wei-teren Teil seiner einhundertvierzehn Kilo in den rechten Fuß und drückte Becks Kehle weiter zu. Beck spürte den Knorpel seines Kehlkopfes knirschen. Er riss den Mund weit auf, aber das, was an Luft noch die zusammengepresste Luftröhre passieren konnte und seine Lungen erreichte, konnte bei Weitem nicht den Bedarf des Mannes decken. Mit seiner Atemnot steigerte sich seine Angst und die Angst wiederum ließ ihn noch schneller hecheln. Ritter fand Vergnügen an diesem Spiel und lockerte kurz den Druck in seinem Fuß. Wie ein altersschwacher Asthmatiker sog Beck die Luft tief in die Lungen ein, aber schon schnürte Ritters Schuh seinen Hals erneut zu. Voller Panik tasteten die Hände des Polizisten über den Boden. Einen Stein, dachte er, Gott, gib mir einen Stein! Stattdessen berührten seine Finger eine der vielen Glasscherben. Er lag halb mit dem Gesäß auf ihr, vor Ritters Blick verborgen.
    »So, kleiner Bullenpisser, langsam Zeit, Lebwohl zu sagen, he? Bin mal gespannt, ob du schreien kannst, wenn es zu Ende geht. Kannst du schreien Bulle, he, kannst du?« Ritter beugte sich eine Kleinigkeit zu seinem Opfer hinab und verstärkte dabei den Druck, den sein Schuh ausübte. Die grobe Sohle drückte tief in den Hals und hinterließ dunkle Blutergüsse.
    Beck packte die lange, schmale Scherbe, auf der er lag. Er griff sie, so fest er konnte, wobei das Glas tief in seine Handfläche und die Finger schnitt. Blutstropfen quollen hervor, Beck biss sich auf die Lippen, riss seinen Arm hoch und jagte die Waffe mit aller Gewalt in Ritters Oberschenkel. Mit der anderen Hand zerrte er sich den Fuß vom Hals und rollte unter dem in die Knie gehenden Gegner zur Seite. Ritter stieß einen überraschend hohen Schmerzensschrei aus – schrill, wie das Quieken eines zur Schlachtbank gezerrten Schweins. Bevor Ritters träger Geist die Situation erfassen konnte, war Beck schon auf den Füßen und trat ihm mit dem noch beschuhten Fuß ins Gesicht. Er legte all seine Wut, seine Todesangst, seine Scham in diesen Tritt und Ritter verlor einen seiner gepflegten Schneidezähne. Beck war für den Bruchteil einer Sekunde versucht, nach dem Schlüsselbund zu greifen und den Waffenschrank zu öffnen − ein Blick auf Ritter, der sich

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