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Rattentanz

Titel: Rattentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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schon früh in die nun un-gesicherten Läden getrieben. Nach und nach waren Mitarbeiter und Passanten eingetroffen, aber keiner wusste das Warum der Katastrophe, keiner, wie es weitergehen sollte.
    Der Streifenwagen wurde schon von der ersten Menschengruppe angehalten, auf die er traf. Es waren Anwohner und zwei, drei Ladenbesitzer. Beim Anblick der Uniformierten schöpften sie Hoffnung. Als ihnen aber klar wurde, dass die Gesetzeshüter genauso unwissend wa ren wie sie selbst, schlug die erwartungsvolle Freundlichkeit schnell in Zorn um, der sich in Beschimpfungen entlud: »Was fahrt ihr denn hier spazieren, wenn ihr von nichts Ahnung habt? Kümmert euch lieber um die Stromversorgung und die Telefone! Oder seht zu, dass die Straßen wieder frei werden, man kommt ja kaum noch irgendwohin!«
    Beck und seine Kollegen fuhren weiter. Aber schon nach der nächs ten Straßenbiegung wiederholte sich das Spiel. Sie wurden angehalten, zuckten bedauernd die Schultern und mussten erneut als Blitzableiter für die Angst und Wut der Menschen herhalten.
    In Sichtweite wartete bereits die nächste Gruppe und aus einem der drei- und vierstöckigen Häuser, die am Ende des neunzehnten Jahrhunderts errichtet worden waren und die Straßen der Innenstadt nahtlos säumten, hatte ihnen eine alte Frau zugewunken. »Hilfe!«, schrie sie. »Ich bin überfallen worden!« und dabei wedelte sie mit beiden Armen aus einem Fenster unterm Dach und lehnte sich weit vor.
    »Wenn die so weitermacht, flattert sie gleich los«, hatte Meinhoff leise gespottet. Dann, lauter und gut hörbar, hatte er der verständnislos blickenden Frau erklärt, dass sie einen anderen Auftrag hätten, dass aber, sobald alles wieder funktionieren würde, jemand vom Revier vorbeikäme.
    Verfolgt von den Hilferufen und den Verwünschungen der alten Frau waren sie weitergefahren und vor der Filiale der Deutschen Bank ausgestiegen. Vor dem Haupteingang hatten sich gut zwei Dutzend Männer und Frauen versammelt, die vergebens versuchten, eingelassen zu werden. Hinter einer abgeschlossenen Glastür standen zwei Män ner im Anzug und hatten nur mit dem Kopf geschüttelt.
    »Die lassen uns nicht rein!«, schimpfte ein älterer Herr und drohte mit seiner knorrigen Faust Richtung Eingang. »Nicht mal an den Geld automaten lassen die uns ran.«
    Obermeister Werner Meinhoff, Leiter der Streife, hatte an die Glastür geklopft, während Beck, di Sario und Wegmann die Leute vorsichtig von der Tür abgedrängt und dabei beruhigend auf sie eingeredet hatten. So hatten sie es im Deeskalationsseminar gelernt. Mein hoff war inzwischen von den beiden Bankern eingelassen worden.
    »Wir können die Bank nicht öffnen«, erklärten die Männer. »Abgesehen davon, dass wir ganz allein hier sind, können wir keinerlei Buchungen vornehmen. Die Computer streiken und wir haben keine Möglichkeit, den Saldo irgendeines Kontos abzufragen. Woher sollen wir wissen, ob die Leute überhaupt was abzuheben haben?«
    »Davon ganz abgesehen kommen wir an keinen einzigen Euro ran. Im Kellertresor liegt zwar reichlich Bargeld, aber die elektronischen Schlösser blockieren die Verriegelung. Ohne Strom und funktionierenden Computer können wir hier gar nichts unternehmen, selbst wenn wir wollten.«
    Den Polizisten leuchteten die Argumente der Banker ein, nicht aber den Passanten auf der Straße. Den vielen Älteren unter ihnen, die während des Zweiten Weltkrieges und in den Hungerjahren danach aufgewachsen waren, steckte diese Kindheitserfahrung zu tief in den Knochen. Sie konnten nicht einfach nur dastehen und ruhig und im Vertrauen auf das Funktionieren der gewohnten Ordnung die weitere Entwicklung abwarten. Ihre erste Intuition war, das Eigentum zu sichern und die Vorräte zu kontrollieren. In einem Land, in dem alles zu jeder Zeit käuflich erwerbbar war, beschränkten sich die Vorräte zu Hause im Allgemeinen auf den Bedarf der kommenden zwei, drei Tage.
    »Ich habe fünfunddreißigtausend Euro auf dieser Bank liegen und jetzt«, eine Frau kramte ihren Geldbeutel aus der Handtasche und hielt den Polizisten die fast leeren Fächer unter die Nasen, »jetzt habe ich nicht mal Geld, um ein Brot und Butter zu kaufen, so lange es noch etwas gibt.«
    Vor der Volksbank war das Problem das gleiche, ebenso bei der kleinen Innenstadtfiliale der Sparkasse. Hier allerdings war die Lage beim Eintreffen der vier Beamten ein klein wenig anders. Eine Menschentraube von vielleicht vierzig Personen drängte gegen den Eingang,

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