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Rattentanz

Titel: Rattentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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»Deine Gesicht sieht nicht gesund aus.« Ihre Brille saß auf der rundlichen Nasenspitze. Sie blinzelte ihn kurz über die schmale Fassung hinweg an.
    Richtig! Dr. Stiller.
    »Ja. Danke.« Er stand mühsam auf und schenkte der alten Frau ein Lächeln.
    »Wird bestimmt wieder gut, deine Gesicht!«, lächelte sie zurück und kümmerte sich wieder um die wirklich wichtigen Dinge.
    Die Intensivstation, auf der Dr. Stiller hoffentlich arbeitete, befand sich am Ende eines schmalen Flurs. Unterwegs passierte Beck den Eingang zu den Operationssälen, die alle auf Hochtouren liefen. Beck war gerade dabei, die zweiflügelige Milchglastür zur Station aufzuwuchten, als er hinter sich Schreie hörte. Beck drehte sich um und konnte gerade noch erkennen, wie der Bodybuilder, den er im Hinterhof des Reviers glaubte abgehängt zu haben, in den Wartebereich humpelte, gefolgt von drei oder vier Männern. Die meisten von ihnen um die zwanzig oder wenig darüber. Sie lachten, während Besucher und Patienten schrien und versuchten, das Treppenhaus zu erreichen oder in die Stationsflure zurückzuweichen.
    Da erkannte Beck den Jungen, der ihm in der Sparkasse seine Waffe entrissen und dann auf ihn geschossen hatte. Der Junge fuchtelte mit einer Pistole in der Luft rum. Dann zeigte einer der anderen Männer in seine Richtung!
    Daniel Ritter hatte die Ärztin in der Ambulanz mit körperlicher Präsenz gebeten, ihm die Scherbe aus dem Oberschenkel zu entfernen. Seine Begleiter räumten derweil eine der Kabinen und trugen die Frau, die mit gebrochenem Bein auf der Liege lag, in den Flur. Nach der regelrechten Hinrichtung Storms vor dem Polizeirevier hatte dort einen Moment Stille geherrscht. Die Steinewerfer, vielleicht dreißig Jugendliche, starrten auf Ritter und den durchlöcherten Polizisten zu seinen Füßen. Das war etwas anderes, als sich in der Rolle des Schlächters durch ein Videospiel zu ballern! Das war keiner der blutrünstigen Filme, die nach Mitternacht liefen (Achtung! Diese Sendung ist für Zuschauer unter sechzehn Jahren nicht geeignet!)! Das hier war die Wirklichkeit! Es war real, fand statt und der Mann da auf dem Gehweg war tatsächlich tot! TOT!
    Ritter hatte in die Runde geschaut. He, er war der Held!
    »Was glotzt ihr so? War doch bloß ’n Bulle!«
    Einige traten den Rückzug an, es reichte! In jeder Hand noch einen Stein, war ein Junge mit im Schritt nasser Hose in einem Hauseingang verschwunden, während eine Siebzehnjährige mitten auf der Straße zusammenbrach und hysterisch zu weinen begann. Der Junge mit dem südländischen Aussehen kam auf Ritter zu und hielt ihm Becks leer geschossene Heckler & Koch P7 hin. »Gibt’s da drin frische Munition?« Seine brüchige Stimme holperte noch unentschlossen zwischen Kindheit und Erwachsensein hin und her.
    »Klar, Mann.« Er hatte ihn MANN genannt! »Da ist ’n ganzer Schrank voll!«
    Mehmet grinste, war dann über Storm hinweggestiegen und an Ritter vorbei ins Revier gegangen.
    »Los, kommt rein. Ist alles da, was wir brauchen!«
    Das Mädchen schlug wild um sich und schrie: »Mörder! Ihr seid alle Mörder!« Sie wurde von vier Teenagern weggebracht. Sie wehrte sich, versuchte sich zu befreien und schrie: »Die kriegen euch! Euch alle kriegen sie!«
    Aber Ritter lachte nur und warf ihr eine Kusshand zu.
    »Oder willst du lieber …?« Dabei hatte er obszön mit der geschlossenen Hand den Lauf seiner Maschinenpistole gerieben. Drei lachten über Ritters guten Witz, dann folgten sie ihm und Mehmet ins Revier, um sich zu bewaffnen. Jeder Einzelne der fünf war bereits einmal Gast in diesem Raum gewesen.
    Mehmet, in Donaueschingen geborener Sohn türkischer Einwanderer, hatte man mit neun Jahren erstmals festgenommen. Wegen zweier Kaugummis. Sein Vater hatte ihn windelweich geprügelt. Bei den folgenden Diebstählen beteiligte er seinen alten Herrn an der Beu te. Mal brachte er ihm eine Flasche Schnaps mit − die der brave Moslem natürlich nicht anrührte, sondern an einen Penner verkaufte −, mal fiel ein Hemd oder ein Paar Wischerblätter ab. Zuletzt brach er Autos auf und räumte aus, was sich irgendwie verkaufen ließ oder er passte die Kleinen hinter der Schule ab und erleichterte sie um ihr Taschengeld. Davon hatte er seinem Vater nichts abgegeben.
    Mehmet, fast fünfzehn, wirkte trotz des dunklen Flaums über seiner Oberlippe jünger. Er war klein und zierlich und hatte die schulterlangen, pechschwarzen Haare dick eingegelt und straff zusammengebunden.
    Hermann

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