Rattentanz
Fuchs war ebenfalls in der Sparkasse mit dabei gewesen. In der Innentasche seines weiten Mantels trug der bisherige Sozialhilfeempfänger zwanzigtausend Euro in einem dicken Geldbündel. Der Start in ein neues Leben! Er konnte seine Verhaftungen wegen Trunkenheit oder Erregung öffentlichen Ärgernisses, vor allem aber die Nächte in der Ausnüchterungszelle des Reviers, nicht mehr zählen.
Mario, neunzehn, und Alex, zweiundzwanzig, waren Brüder, aufgewachsen bei ihrer Mutter, die machte, was ihre Söhne wollten, seit Alex ihr vor neun Jahren sein Taschenmesser an die Kehle gesetzt hatte und darauf hin dann auch das erbetene Geld fürs Kino bekam. Sie waren mehr oder weniger zufällig zum Revier gekommen, angelockt vom Geschrei der Menschen.
»Du blutest, Alter.« Mario hatte sich eine Maschinenpistole über die Schulter geworfen, drei volle Magazine in die Hose gesteckt und dabei auf Ritters Bein gezeigt.
»Weiß ich, Mann. War der Scheißbulle, der abgehauen ist.«
Mario zuckte die Schultern. »Solltest vielleicht ins Krankenhaus, oder?«
Die anderen, inzwischen ebenfalls bis an die Zähne bewaffnet, standen im Halbkreis um ihren Helden herum und nickten.
Zwei Straßen weiter hatten sie einen Geländewagen angehalten, den notgedrungen sehr kooperativen Fahrer zum Aussteigen aufgefordert und waren zur Klinik gefahren.
»Lasst die Knarren hier, macht bloß ’n blöden Eindruck.«
Alex blieb im Wagen, während Daniel Ritter mit seiner unbewaffneten Eskorte die Klinik betrat. Nur Mehmet hatte sich von seiner frisch geladenen P7 nicht trennen können. Er trug sie hinten in der Hose unter seinem T-Shirt (cool!). Und Fuchs glaubte, er müsse seinen neu erworbenen Reichtum mit einer Maschinenpistole schützen, die er unter seinem Mantel versteckt hielt.
Die Ärztin lehnte sich an die Wand und versuchte ihre zitternden Hände vor den Patienten zu verbergen. Nachdem sie die tief eingedrungene Glasscherbe entfernt hatte, verband die Ambulanzschwes ter die Wunde.
»Sie hätten sich ruhig hinten anstellen können«, plapperte diese. »Wir haben hier gerade wirklich genug zu tun. Wenn jeder so ankommen würde wie Sie!« Ritter konnte sich trotz der Schmerzen ein Grinsen nicht verkneifen. »Was soll daran lustig sein? Die arme Frau, die ihr einfach auf den Flur gelegt habt, hat schon zwei Stunden gewartet! Und der Polizist vorhin hatte bestimmt schlimmere Verletzungen als Sie! Aber hat er sich etwa so aufgeführt? Sie sollten …«
»Was für ein Polizist?«, unterbrach Ritter sie barsch und war plötzlich völlig schmerzfrei.
»Na, ein Polizist eben. Weiß nicht, wie er heißt, war aber schon öfter hier, mit Betrunkenen oder so.«
»Wie sah er aus?«
»Klein, mit Bart. Sein Gesicht war furchtbar zugerichtet, oh ja. Und die Hand erst!«
Der Verband war fertig angelegt und Mehmet half Ritter in die Hose. Plötzlich packte Ritter die Schwester und drückte sie gegen die Kabinenwand.
»Und wo ist er hin?« Sein bitterer Atem erinnerte die Schwester an eiternde Geschwüre. Sie wandte den Kopf ab.
»Er hat sich nach einem Arzt erkundigt, nach Dr. Stiller.«
»Und wo finde ich diesen Stiller?« Ritter hatte sie unter den Armen gepackt. Mühelos hob er sie in die Höhe. Die Schwester zögerte nur kurz.
»Er arbeitet auf der Intensivstation. Oder im OP.«
Beck zog hastig die Tür hinter sich zu und suchte nach einem Flucht weg. Seit dem Morgen hatte sich die Intensivstation völlig verändert. Inzwischen waren sämtliche Betten belegt und selbst auf dem Flur lagen zwei Patienten auf schmalen Liegen. Pflegepersonal und Ärzte − neben Stiller war ein junger Arzt im praktischen Jahr anwesend − gaben ihr Bestes, um die Patienten wenigstens mit dem Nötigsten zu versorgen. Aber es war ein fast aussichtsloses Unterfangen, denn während die Station aus allen Nähten platzte, wurden in vier Sälen Notfalloperationen durchgeführt und es war noch immer kein Ende absehbar. Zu allem Überfluss hatte sich eine der Schwestern am Vormittag aus dem Staub gemacht. »Tut mir leid«, hatte sie sich bei Eva Seger entschuldigt, »aber ich muss nach meinen Kindern sehen!« So blieb Eva mit Stefan und einer weiteren Schwester allein zurück.
Eva beneidete ihre Kollegin um diesen Egoismus. Inzwischen war es kurz nach drei und ihre Schicht eigentlich seit zwanzig Minuten offiziell beendet. Zu Hause wartete Lea. Aber Lea, daran zweifelte Eva keinen Augenblick, war bei Susanne und Frieder in guten Händen. Hier allerdings wurde sie
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