Rattentanz
Untergebenen hinterher.
Beck flüchtete in ein dunkles Treppenhaus und empfing seinen Chef mit kampfbereiten Fäusten.
»Beck? Ich bin es, Salm!« Erleichtert hatte Beck die Angriffshaltung aufgegeben. Er zitterte wie ein frisch geborenes Kalb am ganzen Körper. Das von seinen Fingerspitzen tropfende Blut bildete bereits eine ansehnliche Lache auf dem Steinboden.
Während er Salm von den Vorfällen in der Bank und im Revier erzählte, zerriss eine Maschinengewehrsalve die Stille. Salm zerrte sich die Krawatte vom Hals und verband Joachim Becks Hand. »Versuchen Sie, ins Krankenhaus zu gelangen, das muss genäht werden«, hatte er geraten. »Ihre Nase könnte auch einen Arzt vertragen.« Beck lächelte gequält.
»Und was werden Sie unternehmen?« Salm hatte einige Sekunden geschwiegen und durch Beck hindurchgesehen.
»Ich weiß es nicht.«
So ratlos hatte Beck seinen cholerischen Vorgesetzten noch nie erlebt. »Alles scheint vollkommen aus den Fugen zu geraten. Ich habe Angst, Angst um meine Familie, meine Mitarbeiter, die noch draußen sind, Angst um unsere Stadt, unsere Welt. Ist nur hier alles durcheinandergeraten und in Frankfurt und Stuttgart und Berlin funktioniert das Leben reibungslos und wie gewohnt? Aber wenn ja, warum hilft uns dann niemand?« Salm hatte den Kopf geschüttelt und Beck auf die schwachen Füße geholfen. »Machen Sie, dass Sie ins Krankenhaus kommen. Ich gehe zurück zu meiner Familie.«
Beck kämpfte sich bis in die Ambulanz vor, wo eine überforderte junge Ärztin den auf sie einstürmenden Patienten gegenüberstand. Al le Stühle waren besetzt, und auf den Gängen vor den vier Behandlungskabinen drängelten sich Männer und Frauen. Die Ärztin hastete zu jedem Neuankömmling, konnte sich aber bei keinem zu einer Behandlung durchringen. Heute war der erste Tag, an dem sie, ohne den sicheren Rat eines erfahrenen Kollegen im Hintergrund, allein und ei genverantwortlich arbeiten und entscheiden musste. Zuerst, bis gegen zehn, halfen ihr zwei weitere Assistenzärzte, die man dann aber in die Operationssäle abkommandierte.
Eine resolute, ältere Krankenschwester nahm der jungen Ärztin das Zepter aus der Hand und begann, nach eigenem Gutdünken die Patien ten zu verteilen. »Alle mit leichteren Verletzungen gehen bitte auf Station zweiundzwanzig. Bitte!« Mit gespreizten Armen schob sie einige Verletzte vor sich her. »Bitte, Sie sehen doch selbst, dass wir im Moment hier in der Ambulanz nichts für Sie tun können. Gehen Sie auf die Stationen, bitte.«
Eine rundliche Türkin mit einem schreienden Kind auf dem Arm stieß die Schwester zur Seite und rannte in eine der Kabinen. Der Vierjährige war eine unbeleuchtete Kellertreppe hinabgestürzt und blutete aus einer langen Platzwunde, die sich über die gesamte Stirn zog.
»Ich gehe nix!« Auf der Behandlungsliege lag bereits ein älterer Herr, dessen Symptome für einen Herzinfarkt sprachen. Sie drängelte ihr breites, unter einem derben Rock verborgenes Gesäß neben ihn auf die Liege und drückte ihr Kind fest an sich. »Ich gehen erst, wenn du hast geholfen!«
»Na«, die Schwester hatte Beck entdeckt. Sein Gesicht kam ihr bekannt vor. »Sie hat es aber böse erwischt.« Sie musterte die Reste der Uniform. »Ach stimmt, Sie sind Polizist, nicht wahr?« Beck nickte. »Hatten Sie einen Unfall? Sind die Straßen einigermaßen frei? Man hört ja hier so einiges, aber wissen Sie, ich hatte meinen Kindern versprochen, dass wir heute Nachmittag, nach Dienstschluss, zusammen nach Rottweil ins Bad fahren.« Beck wollte etwas erwidern, aber die Schwester hatte ihn schon am Arm gepackt. »Ach, ist ja jetzt egal! Gehen Sie auf eine Station, vielleicht ist dort noch ein Arzt. Sie sehen ja selbst, wie es hier zugeht! Bin mal gespannt, ob ich pünktlich rauskomme, hab schon genug Überstunden, die ich nicht abbummeln darf. Personalmangel, wissen Sie.« Und schon musterte sie einen weiteren Patienten und entschied, wo er hin sollte, während sie mit diesem den mit Beck begonnenen Monolog fortsetzte.
»Ist Dr. Stiller im Haus?« Beck war noch einmal zurückgekommen. Dr. Stiller war zwar Anästhesist, aber auch der einzige Arzt des Hauses, den er von seinen Besuchen hier noch mit Namen kannte.
»Stiller?« Die Schwester überlegte einen Moment. »Ich glaube, er ist heute auf Intensivstation. Aber es kann auch sein, dass er in den OP musste. Sie wissen ja, heute geht nichts so, wie es sollte. Und dann noch der Personalmangel …«
In den
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