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Rattentanz

Titel: Rattentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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glühten. Papa hatte gesagt, dies sei ihr beider Geheimnis, denn Mama würde wahrscheinlich ein bisschen schimpfen, wegen der Kannibalen und so.
    »Was? Dein Papa erzählt dir Robinson Crusoe? Bist du dafür nicht noch ein bisschen zu klein?«
    »Nein. Außerdem hat er das mit den Menschenfressern weggelassen!« Oje, nächster Fehler!
    »Oh ihr zwei«, schimpfte Susanne mit gespielter Entrüstung. Es ging sie nichts an, was ihr Nachbar seinem Kind für Geschichten erzählte. Das war deren Sache. Trotzdem fand sie, dass man einer Siebenjährigen nicht unbedingt diese Geschichte erzählen musste. Sie kannte sie selbst nur aus dem Fernsehen, Bücher gab es in ihrem und Frieders Haus keine. »Dein Vater behandelt dich wie einen Jungen«, sagte Susanne und hatte damit nicht ganz unrecht. Hans Seger hatte sich immer einen Sohn gewünscht, einen Lausbuben mit Zahnlücke und wildem Haar, aufgeschlagenen Knien und jedem Tag einen anderen Streich im Kopf. Und so behandelte er Lea tatsächlich oft wie einen Jungen, erzählte ihr von Tom Sawyer und Huck Finn und ihren Abenteuern mit Indianer-Joe. Meist schlief Lea dabei ein oder spielte mit einer Puppe. Aber (Achtung: Wichtig!) Papa war da!
    »Freitag?«, fragte Lea noch einmal, nachdem Susanne und Bubi ihr versprochen hatten, nichts von ihrem Geheimnis am Abend an Leas Mutter weiterzusagen.
    »Heute ist Mittwoch, Zwerg. Wenn, dann müsstest du ihn Mittwoch nennen und das klingt blöd, oder?«
    »Onkel Mittwoch?«
    Susanne schüttelte den Kopf.
    »Herr Mittwoch! Bitte, Susanne!«, jubelte Lea und tanzte um den Küchentisch. »Wir nennen ihn Herr Mittwoch, nur bis er wieder sprechen kann! Bitte, bitte!«, flehte sie und klammerte sich an Susannes Bein.
    »Wir fragen Onkel Frieder, was er dazu meint. Und Bubi, der hat ihn schließlich gerettet.«
    »Is mir egal, wie ihr ihn nennt. Is mir ganz egal«, sagte Bubi ohne aufzusehen.
    Frieder Faust stand im Unterhemd und mit einer Flasche Bier in der Hand an seinem selbst gemauerten Grill. Auf dem Rost brutzelten Steaks und mehrere Scheiben Speck. Ein Bild, wie aus den besten Zeiten geordneter Kleinbürgerlichkeit. Wäre nicht das Flugzeugwrack am Horizont gewesen, hätte man durchaus auf den Gedanken kommen können, alles wäre in bester Ordnung. Bubi saß im Schatten an der Hauswand und betrachtete auf dem kleinen Monitor seiner Digitalkamera wieder und wieder seine Aufnahmen. Aufnahmen, die er keinem zeigen wollte und die ihn mit so viel Stolz und Zuversicht erfüllten. Susanne deckte den Tisch auf der kleinen Veranda hinter ihrem Haus. Lea half dabei.
    »Und er hatte nichts bei sich, keine Jacke, keine Tasche oder einen kleinen Koffer in der Nähe?«
    »Nein Vater, hab ich dir doch jetzt schon hundert Mal gesagt: da war nichts. Außerdem, so wie das da oben aussieht, könnte man keinem irgendein Gepäckstück zuordnen.«
    »Außer, man findet einen Reisepass oder Führerschein oder so. Irgendwas mit Bild und Namen eben.«
    Das Fleisch war durch und sie setzten sich zu Herrn Mittwoch an den Tisch. Frieder fand den Namen nicht schlecht.
    »Irgendwie tut er mir leid«, sagte Susanne. »Schaut ihn euch doch mal an. Er sieht gepflegt aus, wie ein feiner Herr und … schlau und irgendwie klug. Und wir nennen ihn Herr Mittwoch! Vielleicht war er Arzt oder ein Lehrer?«
    »Vielleicht, vielleicht, vielleicht.« Faust schüttelte den Kopf. »Ich finde, Herr Mittwoch passt. Und wenn alles gut geht, verrät er uns ja, bevor er morgen abgeholt wird, seinen wirklichen Namen. Und jetzt esst!«
    Sie stürzten sich auf das Essen und Faust merkte erst jetzt, wie viel Kraft ihn dieser Tag gekostet hatte. Dies war wirklich kein Tag für schwache Nerven und erst recht keiner für schwache Männer. Wie sie ihm alle zugehört hatten in der Krone. Und gestarrt und geklatscht, als ob das Verbuddeln der Leichen auf dem Hardt so wichtig wäre. Aber es beschäftigte die Menschen, gab ihnen etwas zu tun, dachte Faust. Es wird den Schwachen helfen, die Stunden bis zum Eintreffen der Rettungsmannschaften heil zu überstehen.
    »Will er nichts?«, fragte Bubi und streckte die Hand nach dem unberührten Steak aus, das vor Assauer langsam kalt wurde.
    »Finger weg!« Faust schlug seinem Sohn mit der Gabel auf den Handrücken. »Wenn er nicht essen kann, muss es ihm eben einer ge ben.«
    »Darf ich das machen, bitte!«, bettelte Lea und stand schon neben Assauer. Faust schnitt das Fleisch klein und gab Lea die Gabel.
    »Aber sei vorsichtig Lea!«, mahnte Faust.

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