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Rattentanz

Titel: Rattentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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wurde.
    Die Marktleiterin hatte vergeblich versucht, die Plünderer zurückzuhalten. Sie wurde zur Seite gedrängt und musste hilflos mit ansehen, wie eben die Menschen, die gestern noch friedlich und immer zu einem kleinen Plausch bereit bei ihr und ihren Kolleginnen an den Kas sen gestanden hatten, ihren Aldi in Bonndorf nach und nach leer räumten. Die kleine Polizeistation der Stadt, nur knappe einhundert Meter entfernt, wo sie sich schließlich Hilfe erhoffte, lag verlassen da. Nachdem beide Polizisten kurz nach dem ersten Flugzeugabsturz ausgerückt waren und nie wieder erschienen, hatte die zurückgelassene Sekretärin ihre Handtasche gepackt und war gegangen.
    Faust und Bubi tasteten sich weiter durch die Gänge, während die alte Frau eilig verschwand. Sie hatte recht − hier war kaum noch etwas zu holen! Konserven, Lebensmittel und Getränke waren bis auf den letzten Rest geplündert. Jemandem musste im Kampf um die Waren eine Flasche Essig runtergefallen sein, denn je weiter sie sich vorarbeiteten, desto beißender und intensiver stieg dessen Geruch in ihre Nasen.
    »Komm Vater, lass uns verschwinden, hier gibt es nichts mehr zu holen!« Faust nickte.
    Sie verließen den Laden mit einer Tüte Salz, zwei zerbeulten Leberwurstkonserven und einer Flasche billigem Korn, die unter eine Palette gerollt war. »Na, wenigstens was«, freute sich Faust, als er die Flasche fand.
    Der Anblick, der sich ihnen bot, als sie sich mit ihrem Pick-up langsam durch die Stadt quälten, war die logische Fortsetzung dessen, was bei Aldi begonnen hatte. Überall waren Menschen auf den Straßen der Kleinstadt und trugen aus Geschäften, deren Türen man gewaltsam geöffnet hatte, wahllos weg, was sie tragen konnten. Ein Mann kam gerade aus Müllers-Kleider-Boutique, im einen Arm eine frühsommerlich bekleidete Schaufensterpuppe, im anderen einen Packen Damenunterwäsche. Das Schaufenster des noblen Geschäftes war eingeschlagen und die Kasse fehlte.
    Der kleine Tabakladen drei Straßen weiter bildete keine Ausnahme. Im Gegenteil, er war eines der ersten Ziele der Plünderer dieses Tages gewesen. Das altertümlich wirkende grüne Schiebegitter, das der alte Besitzer jeden Abend bedächtig schloss und das er sich standhaft weigerte zu ölen, lachte, mit halb offenem, verbogenem Gittermund und lud in einen restlos leeren Laden ein. Zigaretten, Zigarren, Tabak –alles war weg. Und an die Spirituosen erinnerten nur noch saubere Kreise auf staubigen Regalböden.
    Die beiden anderen Supermärkte Bonndorfs schienen Geschwister des ersten zu sein. Bubi und Faust statteten dennoch jedem Geschäft einen Besuch ab, aber außer einer weiteren Flasche Schnaps und einem halbem Dutzend Konserven, die sie vor einem der Märkte in einem vergessenen Einkaufswagen fanden, gingen sie leer aus.
    Auch Bonndorf hatte sich innerhalb weniger Stunden in einen gesetzlosen Raum verwandelt. Wenn das in einer Kleinstadt mit dreitausend Einwohnern möglich war, in einer Stadt, in der fast jeder jeden kannte und man sich auf den Straßen grüßte, wie würde es dann jetzt erst da aussehen, wo Anonymität und Egoismus Überlebensmaxime waren – in Großstädten wie Stuttgart, Zürich oder Berlin?

18
    18:08 Uhr, Wutachschlucht
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    Frederick Fehrenbach aus Bonndorf starb zwei Stunden nachdem er Bekanntschaft mit einen perfekten Herzinfarkt machen durfte. Bis dahin hatte er mit Aktien gehandelt. Nur für sich und ausschließlich mit seinem Geld. Ende der Neunzigerjahre – nicht wenige häuften in kürzester Zeit mit den Emissionen des Neuen Marktes Vermögen an – gehörte er zu den Ausnahmefällen, welche ihre Aktienreichtümer auch noch nach dem Zusammenbruch der Spekulationsblase besaßen. Seitdem handelte er vom heimischen PC aus. Er kaufte und verkaufte, löste Optionen ein und bescherte sich, seiner Frau und Louis, dem elfjährigen Sohn, ein sorgenfreies Leben.
    Er war den ganzen Vormittag wieder und wieder zu seinem Laptop und ans Telefon gegangen. Die Hoffnung, eines von beiden könnte wie der funktionieren, wurde schwächer und schwächer. Am Nachmit tag löste er dann sein zwei Jahre altes Versprechen ein und startete mit seinem Sohn zu einer Radtour. Sie wollten am Ufer der Wutach grillen.
    Louis sah den faustgroßen Stein nicht, der ihm bei der rasanten Ser pentinenabfahrt den Lenker verriss. Mit vor Überraschung und sprachloser Angst weit aufgerissenen Augen flog er über das Vorderrad. Mit der rechten Schulter prallte er gegen den runzligen

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