Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Rattentanz

Titel: Rattentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
Vom Netzwerk:
erzählte ihm von den Plünderungen und von der verlassenen Polizeistation.
    »Geht alles ganz schön schnell den Bach runter«, murmelte der Einundsechzigjährige und zog seine speckige Kappe auf dem Kopf zurecht. »Hast du schon mal daran gedacht, Frieder, dass dieser Zustand anhält?«
    Faust zog die Brauen zusammen. »Du meinst, dass Strom und Wasser nicht zurückkommen?«
    Albicker nickte und trank.
    »Jetzt komm, Andreas! Sicher, vielleicht wird es länger dauern als wir glauben, vielleicht vier, fünf Tage. Aber in höchstens einer Woche wird irgendjemand alles schon wieder hingebogen haben!«
    »Und wer soll dieser Irgendjemand sein?«
    »Was weiß denn ich!« Faust wirkte plötzlich gereizt. »Wir haben eine Regierung in Berlin sitzen und in Brüssel hockt auch noch ein Berg Beamter. Die sollen jetzt mal zeigen, was in ihnen steckt. Sollten die Probleme deutschland-oder europaweit bestehen, wird es ja wohl irgendwelche Notfallpläne geben! Und dann die ganzen Energiekonzerne!« Er trank sein Bier leer und gab Albicker die Flasche zurück. »Die wissen bestimmt, wie sie die Kraftwerke wieder zum Laufen bringen!«
    Andreas Albicker wollte etwas erwidern, als Jürgen Mettmüller in den kleinen Raum trat. Die roten Haare und sein käsiger Teint, von unzähligen Sommersprossen belagert, gaben ihm, egal wie ernst die Dinge waren, über die er gerade redete, immer etwas Lausbubenhaftes.
    »Hier versteckt ihr euch!« Er zwinkerte den beiden zu und warf einen vielsagenden Blick auf die leeren Flaschen. »Du entwickelst dich noch zu einem richtigen Kapitalisten, Andreas«, scherzte er. »Im Stall schuftet ein Dutzend Leibeigener für dich und du trinkst in aller Ruhe erst mal ein Bier. So lass ich mir das gefallen.«
    »Die Zeiten haben sich geändert, Jürgen«, ging Albicker auf den Spaß ein. »Hast du nicht gehört, dass ab sofort jeder Dorfbewohner eine Stunde am Tag für mich arbeiten muss?«
    »Das ist nur fair, schließlich hast du als Einziger im Ort noch Kühe und damit Milch und Fleisch.« Mettmüller schien über etwas nachzudenken und wurde ernst. »Habt ihr gehört, was in Bonndorf los ist?«
    Die Männer nickten.
    »Ich war vorhin selbst drüben«, erklärte Faust.
    »Dann hast du ja das Feuer gesehen.«
    »Feuer? Welches Feuer?« Faust schien wie elektrisiert. Seit seinem vierzehnten Geburtstag war er Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr und an einem separaten Haken neben der Garderobe bei sich im Flur hingen Tag und Nacht Uniform und Helm.
    »Das Schloss brennt.«
    Das Bonndorfer Schloss, Ende des sechzehnten Jahrhunderts erbaut, beherbergte das Notariat, ein Museum, die Bibliothek und die Narrenstuben, eine weltweit einmalige Ausstellung über Narren, ihre Zünfte, Traditionen, Masken und Kostüme.
    Faust wollte sich sofort auf den Weg machen, hoffte, noch etwas retten zu können.
    »Komm«, Mettmüller hielt ihn am Arm zurück. »Vergiss es, Frieder! Selbst wenn wir durchkämen, selbst, wenn wir auf die Schnelle ein paar Männer zusammenbekämen – es gibt kein Wasser!«
    »Aber wir können doch nicht zusehen, wie das Schloss abbrennt!« Faust lief zwei Schritte auf sein Haus zu und kam wieder zurück. Und noch einmal zwei Schritte.
    Albicker aber nickte. »Jürgen hat recht, Frieder, wir können nichts machen. Außerdem haben wir selbst genug Probleme.«
    »Richtig.« Jetzt war es an Mettmüller, zu nicken. »Deswegen bin ich gekommen.«
    »Wegen was?«
    »Probleme. Sven will den Bagger nicht rausrücken, der auf seiner Baustelle steht.«
    Sven, eigentlich Sven-Waldemar Wünsche − er verfluchte den Tag seiner Namensgebung −, Mitte Zwanzig, war im Begriff, im Wellendinger Neubaugebiet seinen Traum vom eigenen Häuschen zu verwirklichen. Heute Morgen waren nur zwei Arbeiter der Stühlinger Firma erschienen, die er mit dem Bau beauftragt hatte. Nach dem Airbusabsturz waren sie wortlos verschwunden. Eisele, der den Bagger für das Ausheben eines Massengrabes haben wollte, war von Sven mit der Begründung abgewiesen worden, dass der Bagger nicht sein Eigentum wäre und er ihn deshalb auch nicht ausleihen könne. Insgeheim hoffte er aber, dass seine Arbeiter morgen wie gewohnt erscheinen würden, nur könnten sie dann, ohne Bagger, nicht mit dem Ausheben der Baugrube fortfahren. Die Leichen auf dem Hardt waren ihm egal.
    »Und was habe ich damit zu schaffen?«, fragte Frieder.
    »Was du damit zu schaffen hast? Hast du nichts gemerkt, vorhin in der Krone?« Faust sah Mettmüller an und verstand gar

Weitere Kostenlose Bücher