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Rattentanz

Titel: Rattentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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zurück in die Küche kam, fielen ihm Ritter und der Bengel auf, wie der Muskelprotz den Jungen fast väterlich im Arm hielt und leise auf ihn einredete. Sie schienen sich einig und lächelten. Beide.

25
    20:40 Uhr, Krankenhaus Donaueschingen, Intensivstation
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    Das Notstromaggregat im Wirtschaftshof klang bereits seit zwanzig Minuten seltsam. Wie ein Gurgelnder, der sich verschluckt und plötzlich loshüstelt. Das Hüsteln hielt einige Minuten an, ging in ein ordentliches Husten über und verstummte schließlich mit einem abschließenden Seufzer. Das war, als ein unscheinbares Ventil zersprang. Dazwischen peitschte aus der Klinikküche ein Schuss.
    Zufall.
    Die wenigen Maschinen der Intensivstation, die über einen Akku verfügten, stimmten urplötzlich lautes Wehgeschrei an und piepsten ohne Unterlass in den verschiedensten Tonlagen. Dämmerung flutete im gleichen Moment durch die Fenster und innerhalb von sechs Minuten verstarben die vier frisch Operierten, deren Leben bis zu diesem Augenblick künstlich mittels Beatmungsmaschinen in ihnen gehalten wurde. Das dürfte die Zahl der Leichen, die sich inzwischen im Aufwachraum stapeln, auf vierundzwanzig erhöhen, dachte Eva Seger. Traurig sah sie hinüber zu Aleksandr Glück. Eva hatte seit Stunden Feierabend. Aber die Angst vor dem, was da draußen auf sie warten mochte, hielt sie zurück. Und die Kranken. Aleksandr Glück. Sie spürte den unbändigen Drang nach Bewegung in sich, wollte über die Station hetzen, arbeiten und dabei an nichts denken. Nicht an Hans und Lea, nicht an die Flugzeuge, an den Jungen, der in das Bett gefeuert hatte, in dem sich der Polizist versteckte. Der Polizist hatte Glück gehabt, denn alle drei Projektile verfehlten ihn. Eva hatte gewartet, bis die vier Männer die Station verlassen hatten. Dann holte sie den in Angst erstarrten Joachim Beck aus seinem Versteck.
    Beck hatte gekeucht wie ein Erstickender, war aus dem Zimmer mit der Leiche gerannt und am Ende der Station in einem kleinen Lagerraum schluchzend zusammengebrochen. Sie brauchte zehn Minuten, bis sie den Mann so weit beruhigt hatte, dass der bereit war, ihr in den Aufenthaltsraum zu folgen und – dem da noch funktionierenden Notstrom sei Dank – eine Tasse Kaffee zu trinken.
    Dr. Stiller blieb fast eine Stunde verschwunden, eine Stunde, in der Eva allein war mit anfangs dreizehn Patienten. Mehmets Ausraster war wohl der Startschuss für einen allgemeinen Aufbruch gewesen: Stefan entschuldigte sich bei Eva und ging. Die junge Ärztin verschwand, ohne sich abzumelden und von den vier Schwestern der Spätschicht kam nicht eine.
    Schließlich fand sie Stiller zusammengerollt wie einen Embryo und mit den dünnen, durchscheinenden Händen an beiden Ohren unter einem Patientenbett. Er hatte eingenässt und als sie ihn unter dem Bett hervorholte, starrte er Eva nur mit riesigen Augäpfeln an.
    Gollum!
    Eva machte weiter, denn die Menschen hier brauchten sie. Sie wusste, sollte auch sie noch die Station verlassen, dann war’s das. Was war wichtiger – ihre Patienten, die wahrscheinlich ohnehin sterben mussten, oder Lea? Lea natürlich, aber die wusste Eva in guten Händen. Nein, nicht nachdenken. Nicht an die Fahrt denken, die noch vor ihr lag, dreißig Kilometer durch Kriegsgebiet, wie es Beck bezeichnet hatte, durch Krieg und Chaos. Die Station gab ihr im Moment noch ein zwar brüchiges, aber doch beruhigendes Sicherheitsgefühl. Hier kannte sie sich aus. Da draußen nicht mehr.
    Aleksandr Glück brauchte sie! Er war der einzige Patient, dessen war sie sich bewusst, der hier noch eine reelle Überlebenschance besaß. Mit mieser Zukunftsprognose zwar, aber wenn ihm jemand half, könnte er dieses ganze unverständliche Chaos überleben. Auch deshalb blieb Eva, wegen Glück. Und weil Joachim Beck ihr eindringlich davon abgeraten hatte, vor morgen früh das Haus zu verlassen.
    »Warum gehen Sie nicht auch, Schwester?« (Schwästerrr!), fragte Glück.
    Eva hatte sich im Flur, wo Glück sie sehen konnte, auf den Boden gesetzt. Sie war blass und müde und traurig. Und allein.
    »Gehen Sie doch und retten Sie sich, hier gibt es nicht mehr viel zu tun.« Womit er den Nagel auf den Kopf traf.
    Als die Aggregate ausfielen, waren neben Glück noch weitere sieben Patienten auf der Station. Die, die noch beatmet werden mussten, verstarben umgehend, bei den verbleibenden, zwei Frauen und ein Mann, alle heute notoperiert, würde es in ein, höchstens zwei Stunden vorüber sein. Da die

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