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Rattentanz

Titel: Rattentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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lebenswichtigen Medikamente, die, von Maschinen aufs Feinste dosiert, ihren Kreislauf am Laufen hielten, ohne Strom nicht weiter verabreicht werden konnten, hatten sie keine Chance.
    »Wissen Sie, Schwester, manchmal muss man auch einmal an sich denken und, auch wenn es schwerfällt, einsehen, wenn es nicht weitergeht.« Eva erhob sich und ging an sein Bett.
    »Sie reden wie ein alter Philosoph, wissen Sie das?« Gewohnheitsmäßig strich sie seine Bettdecke glatt. »Wie ein Philosoph, der recht hat«, fügte sie hinzu.
    Glück richtete sich auf. »Unter normalen Umständen wäre das Verhalten der anderen, derer, die Sie hier im Stich gelassen haben, verwerflich. Aber, Schwester, die Umstände sind nicht mehr normal. Haben Sie sich schon mal die Frage gestellt, ob unter diesen Umständen jetzt nicht Ihr eigenes Verhalten verwerflich ist, Schwester?«
    Eva sah ihn mit einer Mischung aus Zweifel und Belustigung an.
    »Doch, doch, Schwester! Ich finde es verwerflich, wenn Sie sich an Ih re Arbeit klammern und dabei sich selbst vergessen. Gehen Sie, gehen Sie heim, zu Ihrer Familie und Ihrem Mann. Wohnen Sie hier in der Stadt? Dann schaffen Sie es noch, bevor die Dunkelheit kommt!«
    »Ich lebe in Wellendingen. Selbst wenn die Welt in Ordnung wäre, bräuchte ich über eine halbe Stunde mit dem Auto. Mein Mann ist gestern nach Schweden geflogen. Und meine Kleine ist hoffentlich bei den Nachbarn.«
    »Sie haben ein Kind?«
    Eva nickte. »Wollen Sie sie sehen?« Sie holte einen winzigen Geldbeutel aus ihrem Kittel. Sie war froh, dass sie immer auf ein paar altertümliche Papierabzüge der digitalen Bilder bestanden hatte. All die Tausend Fotos, die Hans auf einer externen Festplatte und auf DVDs speicherte, waren jetzt unerreichbar. Selbst zu bloßen Erinnerungen geworden, wie die Momente, an die sie eigentlich erinnern sollten.
    Eva gab Glück ein Bild von Lea. Ein weiteres Foto zeigte Hans und Lea in einem reifen Getreidefeld. Nur ihre Köpfe schauten aus dem Goldgelb der Ähren heraus und über ihnen strahlte die Sonne. Genau so ein Feld war es, in dem sie und Hans sich vor zehn Jahren zum ersten Mal geliebt hatten. Oder versucht hatten, zu lieben. Sie musste lächeln, was sie damals zum Glück nicht getan hatte. Sie lächelte zärtlich bei der Erinnerung an Hans’ Problemchen damals im Feld.
    Es hatte fünf Monate gedauert. Fünf Monate, in denen sie sich heimlich zu Spaziergängen getroffen oder leise miteinander telefoniert hatten. Fünf Monate Sehnsucht, fünf Monate schlechtes Gewissen ihren Partnern gegenüber. Hans hatte einmal zu ihr gesagt, dass sie beide − damals war außer leisen Berührungen noch nichts gewesen − schon ein seltsames Paar wären. Normalerweise würde man doch zuerst übereinander herfallen und sich dann erst Gedanken machen und über eine Zukunft reden. Oder gehen. Aber sie näherten sich einander mit Worten (Eva) und Zuhören (Hans). Und sie schrieben einander seitenlange Briefe.
    Bis Hans sie entdeckte, hatte Eva die Ehe mit Martin Kiefer als logische Fortsetzung ihres Elternhauses verstanden. Aus der Ehe ihrer Eltern waren Zuneigung und Respekt, wenn es diese Dinge denn je gegeben hatte, längst verschwunden, sie selbst hatte nie ein Familienleben im Sinne von Liebe und Geborgenheit erlebt. Und so waren die Männer, die sie unter den vielen Bewerbern aussuchte, immer einer ganz bestimmten Kategorie zuzuordnen: kühl, eher einfach in ihren Ansichten und sie waren sehr genügsam im Bett.
    Als Hans ihr in einem seiner Briefe geschrieben hatte, dass er ganz genau wisse, dass sie miteinander schlafen würden, hatte ihr Herz angefangen zu rasen. Genau das wollte sie – ihm gehören. Aber sie hätte niemals gewagt, diesen Gedanken zu denken, geschweige denn, ihn auszusprechen. Zu eng saß das Korsett ihrer strengen bürgerlichen Erziehung, zu klar war die Rolle einer Frau in ihr Hirn gebrannt. Als sie Martin geheiratet hatte, war sie froh, ihrem Elternhaus zu entfliehen. Für diese Freude opferte sie die Gelegenheit auf ein eigenes Leben. Sie glaubte damals wirklich, mit Martin vielleicht nicht glücklich, aber wenigstens zufrieden sein zu können. Irgendwann würden Kinder kommen und das kleine Reihenhaus, das sie umbauten, würde eine Familie beherbergen. Aber je mehr Martin von Kindern sprach, desto größer wurde Evas Angst und ihre Unsicherheit. Sie wusste nicht, was es war, aber irgendetwas stimmte nicht mit ihr, mit dem Leben, das sie lebte.
    Dass der bloße Gedanke an einen Mann sie

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