Rau ist die See ...
wollte Rick nicht so schnell wieder begegnen. Zwar fühlte sie sich zu ihm hingezogen, aber sie fürchtete sich vor der Stärke ihrer Gefühle.
Ihr Exfreund Luke war auch so ein Womanizer wie Rick gewesen – alle Frauen an der Uni himmelten ihn an. Deshalb war Jade sehr stolz gewesen, dass sich ein so gut aussehender Typ für sie entschieden hatte. Leider hatte sie die Augen davor verschlossen, dass er es mit Treue nicht so genau nahm. Jade hatte sich die schmerzliche Wahrheit erst eingestanden, als sie Luke mit ihrer besten Freundin Tiffany im Bett erwischt hatte.
Jade schüttelte sich, als könnte sie dadurch die traurigen Erinnerungen loswerden. Zum Glück war sie kein Mensch, der in Selbstmitleid badete. Und eigentlich schmeichelte ihr auch, dass dieser Rick mit ihr geflirtet hatte. Sie musste ihm ja nicht gleich verfallen, wie es ihr bei Luke passiert war.
Ob Ann Brockwell an Bord eine heiße Affäre gehabt hatte, fragte sie sich unvermittelt. Vielleicht hatte der Kerl ihr das Herz gebrochen, und Ann war daraufhin fortgegangen.
Jade nahm sich vor, die übrigen Crewmitglieder unauffällig auszuhorchen. Garantiert wurde an Bord der MS Kyrene genauso gern geklatscht wie überall anders auf der Welt. Als Erstes könnte sie Henry fragen. Er hatte schließlich damit geprahlt, gut über alles Mögliche an Bord Bescheid zu wissen. Nun, das konnte er ja mal unter Beweis stellen.
Nachdem Jade den Schlüsselbund zurückgegeben hatte, bereitete sie ihren Malkursus in einer windstillen Ecke des Sonnendecks vor. Jetzt musste sie nur noch auf ihr Angebot aufmerksam machen. Sie fragte sich, ob man die Lautsprecheranlage des Schiffs dafür nutzen durfte.
Wenig später stieg Jade den Aufgang zur Kommandobrücke hoch. Sie war noch nie auf dem Brückendeck eines Schiffs gewesen. Obwohl sie sonst nicht schüchtern war, trat sie voller Ehrfurcht auf die eigentliche Kommandobrücke. Der Zutritt war dort für Passagiere verboten. Aber Jade trug während der Arbeit ein lindgrünes Polohemd, auf dem der weiße Schriftzug „MS Kyrene“ prangte. Dieses Uniformstück war für alle nicht seemännischen Besatzungsmitglieder Pflicht, von der Kosmetikerin übers Personal im Souvenir Shop bis zu den Animateuren. Jade gehörte nun auch äußerlich deutlich sichtbar zur Crew.
Ein Matrose stand am Steuerrad neben dem Kreiselkompass und blickte starr geradeaus. Neben ihm lehnte ein Offizier am Radargerät. Er drehte sich in Jades Richtung und nickte ihr zu.
„Guten Morgen. Ich bin Stanley Nelligan, der dritte Offizier an Bord. Ich habe zurzeit Brückenwache. Und Sie müssen die neue Animateurin sein.“
Jade nickte, stellte sich vor und gab ihm die Hand. „Tut mir leid, dass ich Ihren Namen noch nicht wusste, Sir.“
„Kein Problem, in den ersten Tagen kann man sich unmöglich alle Namen merken. Unser Rudergänger ist übrigens Vollmatrose Sean Bradley.“
Der Mann am Steuerrad warf Jade einen kurzen Seitenblick zu, konzentrierte sich dann aber sofort wieder auf seine Aufgabe. Das zu sehen beruhigte Jade. Sie hatte gehört, dass die Gewässer vor der norwegischen Küste es teilweise in sich hatten. Und sie wollte nicht mit der MS Kyrene auf einem Riff landen.
Nelligan schätzte sie auf Anfang dreißig. Er war schlank, blass und hatte einen schmalen Mund. Komisch, überlegte Jade, ich dachte immer, auf See werden alle braun. Vielleicht bekommt er immer einen Sonnenbrand und cremt sich intensiv ein …
Sie kam sofort auf ihr Anliegen zu sprechen. Nelligan sollte nicht glauben, dass sie aus purer Langeweile auf die Kommandobrücke gekommen war.
„Ja, natürlich können Sie die Bordlautsprecher für solche Durchsagen benutzen. Der Kapitän sieht es gern, wenn sich unsere Animateurinnen möglichst viel für die Passagiere einfallen lassen.“
Nelligan führte Jade zur Lautsprecheranlage und zeigte ihr, wie sie das Mikrofon benutzen musste. Wenig später sagte sie ihren Spruch auf. Jade erschrak zunächst, als sie hörte, wie laut ihre eigene Stimme bis in den letzten Winkel des Schiffs dröhnte. Aber nun konnte sie sicher sein, dass alle Eltern mit Kindern von ihrem Malkurs wussten. Alle übrigen Passagiere ebenfalls.
Jade schaltete das Mikrofon wieder aus. „Danke, Mr. Nelligan. Hat meine Vorgängerin die Bordlautsprecher auch oft benutzt?“
„Ann Brockwell? Ja, sie war sehr fleißig. Ich persönlich verstehe nicht, warum sie einfach spurlos verschwunden ist. – Nun aber viel Erfolg mit Ihrem Malkursus, Miss Walker.“
Er
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