Raubzug mit dem Bumerang
Und
überhaupt: Bevor vage Mutmaßung den Blick verstellt, werden wir erst mal
richtig nachforschen. Jetzt, nachdem wir das Tal Diabolo hinter uns haben (s.h.
Bd. 98), ist das die absolut richtige Aufgabe — für Gaby, Karl, Klößchen
und mich.
2. Nächtlicher Besuch
Er parkte dicht am Zaun, nahm
das Handy aus dem Handschuhfach und stieg aus.
Die Straße führte am
Mierling-Anwesen vorbei und endete am Wald. Das bedeutete: Nur ganz selten kam
hier jemand vorbei.
Hier war das Weichbild der
Millionenstadt, über der ein tiefer, wolkendichter Nachthimmel hing. Er wurde
matt angestrahlt von abertausenden von Lichtern: Laternen, Fenstern,
Autoscheinwerfern, Leuchtreklame. Der Nachthimmel wirkte wie eine mit Licht
ausgepinselte Käseglocke. Aber das interessierte Jürgen Dünnler, Jüdü genannt,
nicht die Bohne.
Er sah zur Armbanduhr: 00.33
Uhr. Hier, in der Fundsbrötter-Allee, war es still. Dünnler ging am Zaun
entlang. Der war mannshoch. Schmiedeeisen. Eine fast hundertjährige Umzäunung.
Alter Besitz, der Park an die 100 000 Quadratmeter groß. Baumbestanden, teils
verwildert, ein Duft von Rosen lag in der Luft, obwohl man erst Juni schrieb.
Zwischen den Bäumen reichte Dünnlers Blick bis zur Villa. Im Parterre, zur
Terrasse hin, brannte Licht.
Dünnler blieb stehen. Er lehnte
sich an den Zaun. Der Blick schweifte. Nein, keiner da. Nirgendwo ein parkender
Wagen. Kein nächtlicher Spaziergänger. In den anderen Villen schlief man
bereits. Dünnler konnte keins der Häuser ausmachen. Sie verbargen sich hinter
Hecken und Bäumen.
Er klappte sein Handy auf. Der
kleine Bildschirm leuchtete. Fabians Nummer war programmiert. Und der Komplize
bzw. Kumpel meldete sich sofort.
„Ja?“
„Ich bin’s, du Totenblume.“
„Mann, das sehe ich an der
Nummer, Jüdü.“
„Störe ich dich beim Bier
trinken oder willst du noch
los?“
„Heute bleibe ich zu Hause. Und
du?“
„Bin in der
Fundsbrötter-Allee.“
„Bei Mierling?“
„Davor.“
„Du willst es also machen,
Jüdü?“
„Wie ich dir sagte. Und
notfalls bringe ich ihn um.“
„Hm. Ich habe nicht so richtig
kapiert, was das soll.“ Dünnler dämpfte die Stimme, obwohl weit und breit
niemand war. „Totenblume, heute Nachmittag war ich schon...“
„Mensch, ich heiße Fabian! Hör
endlich auf mit Totenblume“, fuhr ihn sein Kumpel an.
Dünnler lachte. „Ist doch dein
Spitzname.“
„Es genügt, wenn die Kollegen,
diese Blödheinis, mich so nennen. Auf weitere Verbreitung lege ich keinen
Wert.“
„Du bist nun mal ein
Friedhofsgärtner.“ Dünnler nahm das Handy ans andere Ohr, um die das Gehirn
zerstörenden Strahlen des Geräts — von deren Existenz er überzeugt war —
wenigstens auf rechts und links zu verteilen. „Ich war heute Nachmittag schon
hier. Habe den Alten beobachtet. Hubert Mierling ist 72 und fast so siech wie
die, für die du die Beete machst. Den kannst du bald einplanen. Aber...“
„Ist er krank?“, fragte Fabian
interessiert.
„Ja. Nach meinen Infos eine
tückische Krankheit. Aber er hat immer noch eine Riesenfreude an seinem Enkel.
Roderich ist 17, ein Schnösel von den blondierten Haarspitzen bis zu den
Designer-Latschen. Die beiden sind die letzten Mierlings. Roderichs Eltern
haben vor Jahren mit ‘ner Chessna den totalen Crash hingelegt. Alle mausetot,
auch der Pilot.“
„Auf meinem Friedhof sind ihre
Gräber aber nicht.“ Fabians Stimme klang vorwurfsvoll.
„Sei nicht so gierig! Nicht
jeder liegt auf dem Westfriedhof. Wahrscheinlich haben die beiden nur ‘ne Urne
in Kapstadt. Irgendwo da war’s.“
„Und?“
„Das Bild heute Nachmittag
hättest du sehen müssen. Der Alte im Korbsessel auf der Terrasse. Als Gehhilfe
‘nen Krückstock mit silbernem Griff. Und in der linken Hand — die zittert etwas
weniger als die andere — einen dreifachen Cognac.“
„Wenn’s ihm schmeckt.“
„Der Enkel war im Park. Hat
Bumerang werfen geübt.“
„Waaaaaaaaas? Bumerang?“
„Exakt. Das wollte ich dir
sagen. Und der Junge war verdammt gut.“
„Bumerang — sagst du? Ein
normaler Sportbumerang?“
„Ein normaler Sportbumerang,
Totenblume. Einer, der zurückkommt. Jeder Wurf etwa 60 bis 70 Meter weit.
Elegante Linkskurve. Das Gerät kehrte wie am Schnürchen zu ihm zurück. Roderich
hat ihn fünfmal mit einer Hand aufgefangen, zweimal mit beiden Händen. Der Alte
hat applaudiert und dabei sein Cognacglas zerschmissen. Der Junge musste die
Scherben aufklauben. Hat er auch brav
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