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Raue See

Raue See

Titel: Raue See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Westerhoff
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wenig sein, damit sie nicht zu früh aufwachte. Aber auch zu viel wäre gefährlich. Vor einiger Zeit war es ihm passiert, dass seine neueste Errungenschaft schon tot war, als sie an der Ostsee ankamen. Das war schade gewesen und sollte ihm nicht noch einmal passieren.
    Er brachte den BMW zurück zum Vermieter, ließ sich danach mit einem Taxi in die Nähe des Standortes seines Autos bringen, lief die letzten zwei Kilometer und fuhr in Ruhe auf die A9. Kurz vor Allershausen entsorgte er auf der Raststätte Fürholzen das Handy der Frau. Mit jedem Kilometer, den er sich danach seinem Ziel näherte, fühlte er sich sicherer. Jede Spur von ihr war nun vom Antlitz dieser Erde getilgt, und er konnte mit ihr tun und lassen, was er wollte.
    * * *
    Als er die Tür zur Wohnung aufschloss und in den Flur trat, wusste Günter, dass alles Leugnen zwecklos, jede Entschuldigung sinnlos und jedes Wort überflüssig sein würde.
    Er blickte auf drei Umzugskartons und mehrere Koffer. Er ging ins Wohnzimmer. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Er hatte einen trockenen Mund, als wenn er stundenlang durch eine Wüste gegangen wäre.
    »Du weißt es?«, fragte er Wiebke, die äußerlich ruhig auf dem Sofa saß und ihn offensichtlich erwartet hatte.
    »Du hast eine Polizistin geheiratet, schon vergessen?«, erwiderte sie.
    Er traute sich nicht einmal, sich zu setzen. Er fühlte sich wie ein ertappter Schuljunge, und in gewisser Weise war es ja auch so. Sie hatte ihn erwischt.
    »Versuche besser nie, ein Verbrechen zu begehen«, fuhr sie fort. »Wie hättest du mich denn überzeugen wollen, über tausendzweihundert Kilometer nach Köln und zurück gefahren zu sein, ohne entsprechende Quittungen zu haben, Herr Oberstaatsanwalt, hmmm?«
    Günter zuckte mit den Schultern.
    »Jetzt nimm deine Sachen und fahr zurück nach Wismar zu dieser Anwältin. Dann könnt ihr gemeinsam Jura machen«, frotzelte sie, um ihn dann in einer plötzlichen Eruption all ihrer aufgestauten Emotionen anzubrüllen: »Hau bloß ab und geh zu deiner Schlampe. Ich will dich nie, hörst du: niemals wiedersehen. Raus hier, und mach schnell!«
    Er wollte etwas sagen, befürchtete aber, alles nur noch schlimmer zu machen. Wortlos machte er kehrt und begann, die Sachen in sein Auto zu laden. Wiebke legte Jonas in die Wiege und sah Günter dann mit gefährlich funkelnden Augen an. Sie hatte sich wieder im Griff und sprach ruhig und gefasst. Günter fröstelte fast angesichts der Kälte, mit der sie die nächsten Worte aussprach.
    »Geh mir aus den Augen. Je eher, desto besser. Den Rest regeln wir über unsere Anwälte. Du hast ja schon eine.«
    Günter musste ein paarmal laufen. Er ignorierte die neugierigen Blicke der Nachbarn, die wohl ahnten, dass sich im Hause Menn gerade ein Familiendrama abgespielt haben musste. Nach gut zwanzig Minuten hatte er alles verstaut. Er warf einen letzten Blick in die Wohnung, die ihre gemeinsame gewesen war, und zog die Tür hinter sich zu.
    Wohin?, dachte er, als er den Zündschlüssel drehte und den Motor anließ. Auf keinen Fall wollte er zu Carolyn. Auch wenn das Wochenende schön, ja sogar wunderschön gewesen war. Tauchte er jetzt bei ihr auf, würde er nicht nur mit der Tür, sondern gleich mit der gesamten ganzen Fassade ins Haus fallen. Außerdem: Selbst wenn sie ihn aufnähme, hieße das, vollendete Tatsachen zu schaffen. Danach wäre jeder Weg zurück zu Wiebke verbaut. Ob es überhaupt einen geben würde, war fraglich genug. Doch zöge er jetzt bei Carolyn ein, wäre die Trennung ein für alle Mal endgültig.
    Er lächelte bitter. Obdachlose Oberstaatsanwälte gab es sicher nicht viele. Da kam ihm der rettende Gedanke. Er legte den ersten Gang ein und fuhr los.
    »Mensch, das ist ja eine Überraschung«, sagte Randolph Sollich, als Günter bei ihm vorfuhr und aus dem Wagen stieg. »Was machst du denn hier, an einem Montagnachmittag?« Er legte den Rasentrimmer, mit dem er gerade arbeitete, an die Seite, ging zum Gartentor seines großen Datscha-Grundstücks, auf dem er seit seiner Pensionierung lebte, und öffnete es. Als er Günters Hand schüttelte, konnte er an dessen Gesicht deutlich erkennen, dass der Grund für den Besuch seines Quasischwiegersohns kein erfreulicher war. »Du siehst aus, als wenn du einen ordentlichen Schluck russischen Landwein vertragen könntest.«
    Randolph war siebenundsiebzig und Wiebkes einziger noch lebender näherer Verwandter. Er war ihr Onkel und Ziehvater, um genau zu sein, denn Randolphs

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