Raue See
das war, hatte Tobias zunächst nicht verraten. Aber auf das, was er erzählte, konnte sie sich einen Reim machen. Es war »Morris & Kling«, eine ursprünglich deutsche Kanzlei, die früher natürlich auch einen deutschen Namen gehabt hatte. Aber seit der Fusion mit einer amerikanischen Kanzlei hießen sie eben »Morris & Kling«. Letzte Zweifel, ob Tobias Zimmerer auch wirklich jener Dr. Tobias Zimmerer MBA , Partner von Morris & Kling, war, hatten sich in Luft aufgelöst, als sie vor ein paar Tagen sein Foto per Mail erhielt. Sie verglich das Foto mit der Website der Kanzlei. Tatsächlich: An ihrer Angel hing der goldene Fisch.
* * *
Sie war eine Herausforderung. Er war kein Jurist, hatte sich aber als Anwalt ausgegeben. Denn er hatte unbedingt eine Akademikerin haben wollen. Er wollte sich beweisen, dass er auch diese Frauen beherrschen konnte. Im »Focus« hatte er einen Artikel über diese komische Kanzlei mit dem amerikanischen Namen gelesen, in dem es unter anderem auch um Dr. Tobias Zimmerer ging. Daraufhin hatte er im Netz recherchiert und sich dessen Lebenslauf zusammenreimen können. Selbst ein Foto lieferte ihm das Netz frei Haus.
Der Rest war Routine: Er gab sich so, wie sie es von einem Anwalt und Kanzlei-Partner vermutlich erwartete. Zurückhaltend, höflich, gebildet. Sie biss an und wollte ein Date. Na bitte: ging doch. Und dieses Date war heute.
Die dunkelblaue Siebener-Limousine rollte sanft über den Asphalt, wie schwebend. Das Interieur war aus feinstem Leder gefertigt, das Auto war so gut wie neu. Es gehörte zur Flotte der Sixt Autovermietung. Das Einzige, was er noch hatte tun müssen, war, alles zu entfernen, was auf die Autovermietung hinwies.
Er trug einen dunklen Anzug. So einen, wie ihn Chauffeure trugen. Bei einer Wirtschaftsprüferin würde der Taxitrick nicht funktionieren, fürchtete er. Aber der Chauffeurtrick war auch klasse, vor allem bei arroganten Businesszicken. Die fühlten sich ganz wichtig, wenn eine edle Karosse vorfuhr und der Fahrer ihnen eröffnete, der Herr Direktor – oder für wen auch immer er zu arbeiten vorgab – lasse sich entschuldigen, denn bei seinem Privatjet müsse noch das Triebwerk überprüft werden. Sollten sie doch. Es war ohnehin das letzte Mal in ihrem Leben.
Er parkte in zweiter Reihe auf der Höhe des Cafés, in dem sie sich verabredet hatten, und schaltete den Warnblinker an. Dann nahm er das Foto der Frau und die Visitenkarte von Tobias Zimmerer, die er am PC gebastelt und dann auf edlem handgeschöpftem Papier ausgedruckt hatte, und scannte die Besucher im Außenbereich. Bald schon hatte er sie entdeckt. Er stieg aus.
»Frau Dr. Schleibohm?«, fragte er mit der notwendigen Dosis Unterwürfigkeit.
»Ja, bitte?«, sagte sie verwirrt.
»Ich bin Jens Kugler, Chauffeur bei ›Morris & Kling‹.« Er deutete auf die Limousine.
»Und?«, fragte Annegret.
»Herr Dr. Zimmerer schickt mich. Ein Mandantengespräch hat unvorhersehbar länger gedauert, weswegen er den Flieger verpasst hat. Er wird gleich landen. Ich soll Sie abholen und zum Flughafen fahren, um Sie dann gemeinsam – ach, das soll ich Ihnen ja noch nicht verraten, was er sich für Sie ausgedacht hat.« Er überreichte ihr die Visitenkarte, und Annegret Schleibohm nickte verständnisvoll. Sicher kannte sie das nur zu gut. Anwälte waren doch in gewisser Weise auch nur die Sklaven ihrer Mandanten. Gut bezahlte Leibeigene, die zu springen hatten, wenn der Mandant rief.
»Einverstanden«, sagte sie. »Ich bezahle nur noch.«
»Gestatten Sie, dass ich das übernehme?«
Sie verstand erst nicht, was er meinte.
»Keine Sorge«, sagte er lächelnd. »Diese Auslagen wird mir Herr Dr. Zimmerer ersetzen.« Er winkte die Kellnerin heran und bezahlte.
Annegret Schleibohm wirkte beeindruckt und schien voller Vorfreude zu sein. Das galt auch für ihn. Er hielt ihr die Tür des Autos auf, sie nahm Platz und schnallte sich an. Noch bevor der Gurt eingerastet war, presste er das chloroformgetränkte Tuch auf ihr Gesicht, und sie verlor das Bewusstsein.
In aller Ruhe steuerte er den einsamen Parkplatz in der Nähe von Feldmoching an, auf dem er sein Auto geparkt hatte. Anders als beim Taxitrick würde die Limousine niemand suchen. Er hatte sie unter Vorlage falscher Papiere angemietet und würde sie pünktlich zum Ende der Mietdauer auf dem Hof der Autovermietung abstellen.
Er lud seine Fracht um und verabreichte ihr ein Sedativum. Er musste vorsichtig sein. Es durfte nicht zu
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