Raue See
konnte nicht vorsichtig genug sein. Gründlich wischte er alles, was er im Taxi angefasst hatte, ab. Die Polizei sollte keine Spur von ihm finden – wenn sie sich denn überhaupt die Mühe machen sollte, den Wagen nach Fingerabdrücken zu untersuchen.
Als er losfuhr, malte er sich aus, was er alles mit der Frau machen würde, wenn er erst wieder an der See war. Die Vorfreude ließ ihn beschwingt die Lieder, die HR 1 in den Äther sandte, mitsummen. An der nächsten Raststätte entsorgte er das Handy der Frau. Jetzt konnte niemand mehr ihre Spur verfolgen. Jetzt war sie sein Eigentum. Und niemand würde sie je wiederfinden.
* * *
»Ich will mich aber nicht beruhigen«, echauffierte sich Eva Neuber. »Ich will, dass Sie Ihren Arsch bewegen und anfangen, meine Tochter zu suchen. Das habe ich unten Ihren uniformierten Kollegen auch schon gesagt. Die haben mir überhaupt nicht richtig zugehört. Nur weil ich darauf bestanden habe, mit einem Kommissar zu reden, bin ich überhaupt hier. Aber Sie scheinen sich ja ebenfalls nicht besonders für ein Menschenleben einsetzen zu wollen.«
Jens Bender ignorierte die Beleidigung und sagte begütigend: »Die meisten Vermissten tauchen nach einer Weile wieder auf. Es kommt vor, dass junge Menschen sich für ein paar Tage davonstehlen.«
»Meine Tochter ist siebenunddreißig und nicht siebzehn«, sagte die resolute Zweiundsechzigjährige aufgebracht. »Und sie ist nicht seit ein paar Stunden weg, sondern seit Freitag. Heute ist Donnerstag.«
»Vielleicht ist sie spontan in Urlaub gefahren oder bei einer Freundin oder einem Freund?«, mutmaßte Bender. Durch das Fenster im schmucklosen Büro des Polizeipräsidiums in Frankfurt konnte man auf den Verkehr auf der Eschersheimer Landstraße blicken.
Eva Neuber winkte ab. »Habe ich alle angerufen. Sie ist wie vom Erdboden verschluckt. Seit sie ihr erstes Date mit dieser Onlinebekanntschaft hatte. Letzten Freitag, wie gesagt.«
»Sagen Sie das noch mal«, forderte Jens Bender. Sein ganzes Phlegma war auf einmal weg. Es kam in letzter Zeit zu oft vor, dass Menschen sich in grenzenloser Naivität online verabredeten und dann in gefährliche, bisweilen tödliche Fallen tappten.
»Ich sagte, sie ist seit Freitag weg, seit sie sich mit einem gewissen Marcus R. getroffen hat.«
»Das wissen sie genau?«
Eva Neuber nickte heftig und holte aus ihrer Tasche ein Notebook. Ohne weiter zu fragen, fuhr sie den Rechner hoch, tippte das Passwort ein und rief den Explorer auf. Doch das Gerät war nicht mit dem Netz verbunden.
»Entschuldigen Sie«, sagte sie. »Haben Sie hier WLAN ?«
»Sie kennen sich gut aus.«
»Nur weil ich alt und eine Frau bin, bin ich nicht von gestern«, meinte sie schnippisch.
»Ja, ja«, sagte Bender. »Wir haben hier WLAN .« Er ließ sich telefonisch ein Passwort geben und diktierte es ihr.
Eva Neuber rief die Website www.DateYourLove.de auf und gab erneut ein Passwort ein; kurz drauf drehte sie den Rechner zu ihm hin.
»Woher kennen Sie die Passwörter Ihrer Tochter?«, fragte Bender, während er anfing, die Kommunikation von Yvonne Neuber mit diesem gewissen Marcus R. zu lesen.
»Ich kenne meine Tochter. Sie hat nur ein einziges Passwort: ›Charlotte‹. So hieß das Pferd, das sie als Jugendliche hatte.«
»Gut«, meinte er schließlich, nachdem er die Kommunikation überflogen hatte. »Ich kümmere mich darum.«
»Wie?«, wollte Eva Neuber wissen.
»Da Ihre Tochter ausgerechnet an dem Tag, an dem sie mit einem Unbekannten ein Date vereinbart hatte, verschwand, erwirke ich zunächst einen richterlichen Beschluss, damit mir der Betreiber dieser Kuppelbörse die Daten von Marcus R. gibt.«
»Wenn er was mit dem Verschwinden meiner Tochter zu tun hat, wird er wohl kaum seine Anschrift nebst Hausnummer angegeben haben«, entgegnete sie.
»Das vielleicht nicht. Aber der Rechner der Site kennt die IP -Adresse des Nutzers. Und die ist so was wie der elektronische Fingerabdruck des Computers, der für die Kommunikation benutzt wird. Mit ein bisschen Glück wissen wir bald, wer Marcus R. ist und wo er wohnt.«
Eva Neuber schnaubte. »Wie lange wird’s dauern?«
»Ein paar Tage. Vielleicht eine Woche.«
Sie wollte protestieren. Aber sie besann sich eines Besseren. Mehr, als sie erreicht hatte, war im Moment nicht zu schaffen. Und vielleicht hatte der Beamte ja recht, und Yvonne tauchte in ein paar Tagen braun gebrannt wieder auf und stellte ihr ihre große Liebe vor.
ZWEI
Polizeirat Eberhard Zielkow
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