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Raue See

Raue See

Titel: Raue See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Westerhoff
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ich gesunken. Ich bin schon froh, dass er mich nur erschießt.
    Bergmüller legte auf sie an und zählte die letzten zehn Sekunden laut mit: »Zehn, neun, acht, sieben, sechs, fünf, vier, drei, zwei, eins. Ciao, Bella!«
    Wie in Zeitlupe beobachtete Wiebke, dass er den Abzugshahn durchzog. Sie sah das Mündungsfeuer, spürte einen heftigen Schmerz, dachte an Günter und Jonas und wünschte ihnen alles Gute. Dann verlor sie das Bewusstsein.
    * * *
    Um kurz vor fünf erreichten Sie die Hans-Damp-Straße und lösten an der Schranke das Einfahrticket. Randolph hatte sich über Handy noch mal den genauen Standort des fraglichen Hauses durchgeben lassen. Nichts würde Wiebkes Leben mehr gefährden, als wenn sie aus Versehen unschuldige Urlauber mit vorgehaltener Pistole aus dem Schlaf rissen.
    Das Blaulicht, das ihnen die wenigen Autos, die in der Nacht ebenfalls noch unterwegs waren, aus dem Weg geräumt hatte, hatten sie bereits auf der Landstraße wieder ins Auto geholt. Die letzten Meter fuhren sie langsam und extrem untertourig.
    Als sie vor dem Haus standen, sagte Randolph: »Also, wenn hier die Folterkammer ist, dann gibt es zwei Möglichkeiten. Wir müssen damit rechnen, dass er sich in der ersten Kellerebene aufhält. Die ist über einen verschiebbaren Schrank, der eine Falltür verdeckt, erreichbar. Sie dürfte offen sein, denn sonst käme er selbst ja nicht mehr zurück. Ich werde vorgehen. Sollte der Raum sauber sein, sind sie in der Ebene darunter. Diese Falltür befindet sich in der vorderen linken Ecke. Da sie von beiden Seiten zu öffnen ist beziehungsweise es damals war, könnte er sie verschlossen haben. Ich werde dann versuchen, sie leise zu öffnen. Wir müssen ihn überraschen. Also möglichst wenig Lärm! Noch Fragen?«
    Günter und Schürmann schüttelten den Kopf.
    »Hat jeder eine Waffe?«
    »Ich nicht«, sagte Günter. »Ich kann die Dinger nicht bedienen.«
    »Ich schon«, sagte Schürmann.
    »Dann los.«
    * * *
    Sie erwachte. Sie lag, auf einem großen Brett gekreuzigt, auf dem Rücken. Oh, wie sie diese Szene kannte. Links von ihr stand eine Kamera auf einem Stativ. Das rote Licht zeigte, dass sie im Aufnahmemodus war. In dem Raum roch es eigenartig. Ein stechender Geruch, den Wiebke noch nie zuvor wahrgenommen hatte.
    »Du hast geglaubt, ich würde dich nur erschießen«, sagte Bergmüller, während er mit dem Daumen die Schärfe der Messer prüfte, die er neben anderen Folterwerkzeugen auf einer Art Werkbank säuberlich aufgereiht hatte. »Wie dumm von dir. Nein, du wirst all die Qualen erleben, die auch die erleiden mussten, die du nicht retten konntest. Sonst wäre es ja keine Strafe.«
    Verzweifelt unternahm Wiebke einen letzten Versuch. »Hau doch einfach ab. Tauch irgendwo unter«, sagte sie. »Du weißt, wie das geht. Und so genial, wie du bist, wird dich auch keiner finden. Lass mich einfach so zurück, wie ich jetzt hier liege. Bis man mich entdeckt hat, bist du doch über alle Berge.«
    »Ganz genau«, sagte er. »So mache ich es. Aber erst, wenn der Job erledigt ist.«
    Er wollte wohl noch etwas hinzufügen, doch stattdessen wandte er sich ruckartig um und spitzte die Ohren. Er legte demonstrativ den Finger auf die Lippen. Auch Wiebke hatte etwas gehört, und plötzlich war alles wieder da: ihr Verstand, ihre Lebensgeister und ihr Überlebenswille.
    »Was ist?«, fragte sie laut.
    »Du sollst still sein!«, zischte Bergmüller.
    »Ich?«, rief sie. »Warum soll ich still sein? Warum soll ich irgendetwas tun, was du willst? Du tötest mich ja ohnedies, also kann ich auch reden, wie es mir beliebt.«
    Vielleicht gab es ja doch eine Rettung.
    Wütend drehte sich Bergmüller zu ihr um. Er hielt noch immer eines der Messer in der Hand. »Dann eben ohne Folter sofort«, sagte er, beugte sich über sie und holte aus.
    Es fiel ein Schuss. Scheppernd landete das Messer auf dem Betonboden, und Bergmüller hielt sich mit schmerzverzerrtem Gesicht die angeschossene Hand. Randolph stand breitbeinig, die Armeepistole der NVA im Anschlag, ihm gegenüber.
    Günter und Schürmann hatten den Raum inzwischen ebenfalls erreicht. Ohne seine eigene auf Bergmüller gerichtete Waffe auch nur einen Millimeter zu senken, ging Schürmann auf Randolph zu und nahm ihm die Pistole ab. »Machen Sie sich wegen dieses Abschaums nicht unglücklich.« Er ahnte wohl, dass Randolph den Mann töten würde, wenn man ihn ließ.
    In der Ecke hinter Bergmüller war eine etwa badewannengroße Vertiefung in den Boden

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