Raumfahrergarn
hochaufgeschossene Doktor bat Lunzie mit einem Blick um die Nummer.
»NM-EC-02«, sagte sie.
»… für die Bergung der Fluchtkapsel NM-EC-02 an und bestätige mit meinem Stimmencode. Wenn eine Überprüfung nötig ist, leite die Anfragen an mich weiter.«
»Bestätigt«, sagte die ausdruckslose Stimme des Computers.
»Dann mal los, Bergmann«, sagte Stev. »Es gibt keine Geheimhaltungspflicht, also füttern Sie die Gerüchteküche mit Ihren Neuigkeiten …«
Illin Romsey grinste. »Danke. Ich hoffe, es fehlt Ihnen an nichts, Dr. Mespil« Der junge Mann verbeugte sich höflich und verließ das Zimmer.
Stev trat wieder an Lunzies Seite. »Natürlich ist die Prämie nichts, verglichen mit der Gehaltsnachzahlung, die Ihnen zusteht, Dr. Mespil Während Ihrer ganzen Tiefschlafzeit sind Sie Angestellte der Gesellschaft geblieben. Descartes legt Wert darauf, niemandem etwas schuldig zu bleiben. Wir unterhalten uns später über Ihren Kontostand.«
»Wie lang habe ich denn geschlafen?« wollte Lunzie wissen.
»Sie müssen verstehen, daß … ah … wo der Bergmann Sie gefunden hat … Nun, Ihre Kapsel wurde nicht entdeckt, als die beiden anderen Kapsel von der … äh … Nellie Mine geborgen wurden. Auch sie waren nur schwer aufzufinden. Die Suche hat drei Monate in Anspruch genommen.«
»Haben es alle heil überstanden?« fragte sie in plötzlicher Sorge um die vierzehn anderen Mannschaftsmitglieder der Nellie. Jilet hatte solche Angst davor gehabt, noch einmal in den Kälteschlaf zu müssen. Sie bedauerte, daß sie nicht befohlen hatte, ihm ein Beruhigungsmittel zu verabreichen, bevor er eingefroren wurde.
Dr. Banus schwenkte den Computermonitor auf dem Tisch zu sich herum und fuhr mit dem Finger über die Glasoberfläche. »O ja, den anderen ist nichts passiert. Ein vorschriftsmäßig herbeigeführter Kälteschlaf hinterläßt gewöhnliche keine gesundheitlichen Schäden. Sie müßten sich selbst eigentlich schon wieder ganz frisch fühlen.«
»Ja, das trifft zu. Darf ich Ihre Kommunikationszentrale benutzen? Ich nehme an, daß Sie meine Tochter Fiona verständigt haben, als wir von der Nellie Mine geflohen sind. Ich würde sie gern darüber unterrichten, daß man mich gefunden hat. Sie ist wahrscheinlich schon krank vor Sorge. Oder startet vielleicht bald ein FTL-Shuttle nach Tau Ceti? Ich muß ihr eine Nachricht schicken.«
»Meinen Sie, daß sie noch dort ist?« fragte Satia und sah Stev stirnrunzelnd an.
Lunzie bemerkte ihren Blickwechsel. »Ich habe sie dort bei einem Freund zurückgelassen, der auch praktischer Arzt ist. Sie war erst vierzehn …« Lunzie machte eine Pause. So wie die Ärzte miteinander redeten, mußten einige Jahre vergangen sein, bis man die Kapsel gefunden hatte. Gut, das war eines der Risiken der Raumfahrt. Lunzie versuchte sich vorzustellen, wie Fiona jetzt aussehen mußte, wenn ihre langen Beine weiter so schnell gewachsen waren. Die weiblichen Formen mußten inzwischen gereift sein. Lunzie hoffte, daß der Mentor soviel Geschmack bewiesen hatte, daß er dem Mädchen zeigte, wie man sich modisch kleidete statt so ausgefallen, wie es bei Teenagern üblich war. Dann fiel ihr das tiefe Schweigen der beiden Mediziner auf, denen offenbar mit jeder Minute unbehaglicher zumute wurde. Wenn eine FTL-Reise zwischen Sternensystemen zwei bis drei Jahre beanspruchte, konnte ein Kälteschlaf von gleicher Länge einem modernen Psychologen doch wohl kaum Sorgen bereiten. Oder länger? Fünf Jahre? Zehn?
»Sie sind meiner Frage einige Male sehr elegant ausgewichen, aber das werde ich nicht noch einmal zulassen. Wie lang habe ich geschlafen? Sagen Sie’s mir.«
Die beiden Mediziner wechselten nervöse Blicke. Der große Arzt räusperte sich und seufzte. »Eine lange Zeit«, sagte Stev scheinbar locker, auch wenn Lunzie spürte, daß es ihm nur mit Mühe über die Lippen kam. »Lunzie, es ist nicht gut für Sie, daß ich es Ihnen verschwiegen habe. Ich hätte es Ihnen gleich nach dem Aufwachen sagen sollen, damit Sie sich an die Tatsachen gewöhnen können. Ich habe einen Fehler gemacht, und es tut mir leid. Es ist nur ein so ungewöhnlicher Fall, daß meine Ausbildung, fürchte ich, damit überfordert ist.« Stev holte tief Luft. »Sie waren zweiundsechzig Jahre im Kälteschlaf.«
Zweiundsechszig … Lunzies Gedanken überschlugen sich. Sie war darauf gefaßt gewesen, daß sie ein Jahr geschlafen hatte, oder zwei oder drei, sogar zwölf, wie es Jilet passiert war, aber zweiundsechzig! Sie
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