Raumschiff 5 - Carialle
die Befriedigung, seiner Herzensdame Erfolge zu Füßen legen zu dürfen. Nicht, daß er und Carialle den Unterschied zwischen Spiel und Wirklichkeit nicht gekannt hätten. Doch das Spiel hatte ihr ganzes Leben durchdrungen und ihm Gestalt und Kontur verliehen, so daß es zu mehr geworden war als einem bloßen Spiel, daß es ihnen mehr bedeutete. Niemals würde er diesem raumtrockenen Aktenschieber von jenem Ereignis vor fünf Jahren erzählen, da er tatsächlich eine lange, einsame Nacht beim Schein einer einzigen Kerze dagestanden hatte, um sich seinen Ritterschlag zu verdienen. Um das zu verstehen, hätte man wohl dabeisein müssen, dachte er. »War’s das?« fragte er und erhob sich schnell.
Darvi wedelte mit einem Schreibstift in seine Richtung; er hatte sich bereits in die Dateien versenkt. Keff ergriff die Flucht, bevor es dem Mann einfiel, ihm noch weitere Fragen zu stellen, und eilte durch den gekrümmten Gang zum
nächsten Fahrstuhl.
Keff hatte Mythen & Legenden auf der Grundschule kennengelernt. Zusammen mit einer Truppe von Freunden hatte er sich einmal in der Woche getroffen (manchmal auch öfter, wenn sie sich trauten und die Schulaufgaben es zuließen), um nach der Schule zu spielen. Keff liebte es, einige seiner Heldenphantasien ausleben zu dürfen, und es gefiel ihm, tatsächlich ein Ritter zu sein, der gegen das Böse kämpfte und der ganzen Welt das Gute brachte. Als er erwachsen wurde und erfuhr, daß die Galaxie eine Milliarde mal größer war als sein kleiner Kolonialplanet, hatte dies sein Bedürfnis, Gutes zu tun, noch gesteigert – wie auch seine Überzeugung, daß sein Handeln Wirkung zeitigen könnte, wie geringfügig auch immer. Es war ihm gelungen, während der psychologischen Vorstellungsgespräche vor der Aufnahme zur
Muskelausbildung diesen Traum zu verbergen und seinen Altruismus für sich zu behalten. Doch wie ein Ritter aus alten Zeiten verfolgte Keff die ihm aufgetragenen Arbeiten mit größter Tatkraft und Hingabe und mit dem Schwur, niemals etwas Übles oder Böses zu tun. So hatte er auf stille, lautlose Weise die Regeln des Spiels auf sein eigenes Leben
übertragen.
Zufälligerweise liebte auch Carialle M&L, allerdings mehr wegen der strategischen Überlegungen und der Recherchen, die für die Formulierung der Questen erforderlich waren, als um des reinen Abenteuers willen. Nachdem man sie zu
Partnern gemacht hatte, hatten Carialle und Keff sich einfach angewöhnt, das Spiel zu spielen, um die langen Tage und Monate zwischen den Sonnen auszufüllen. Keff hätte den genauen Zeitpunkt nicht bestimmen können, da sie damit begonnen hatten, eine richtige Lebensweise daraus zu machen: Keff, der ewige fahrende Ritter, und Carialle, seine Herzensdame. Keff sah darin die natürliche Weiterführung eines pubertären Interesses, das mit ihm zusammen gereift war.
Sobald er vernahm, daß die CK-963 einen Muskel brauchte, trieb ihn seine romantische Natur dazu, sich um den Posten als Carialles Muskel zu bewerben. Er hatte – wer nicht? – von dem verheerenden Raumsturm und der Kollision gehört, die Fanine Takajima-Morrow das Leben gekostet hatten und Carialle beinahe in den Wahnsinn getrieben hätten.
Sie hatte eine lange Phase der Rekonvaleszenz durchlaufen, während derer die Mutantenminderheiten (MM) und die
Gesellschaft für die Rechte intelligenter Minderheiten (GRIM) überlegten, ob sie wohl jemals wieder dazu bereit sein würde, ins Weltall hinauszufahren. Sie hatten frohlockt, als Carialle verkündete, daß sie nicht nur wieder bereit sei zu fliegen, sondern sich auch noch daranmachen wolle,
Vorstellungsgespräche mit Muskelbewerbern zu führen. Keff hatte es wirklich sehr auf diesen Posten abgesehen? Nachdem er ihre Akte eingesehen hatte, war ein intensives Bedürfnis in ihm entstanden, Carialle zu beschützen. Eine ziemlich lächerliche Vorstellung, wenn er sich überlegte, daß sie immerhin über die vollen Ressourcen eines Gehirnschiffs verfügte – andererseits hatte der Sturm auch ihre
Verwundbarkeit bloßgelegt. Keffs Beschützerinstinkte vibrierten förmlich angesichts der möglichen Herausforderung, jedwede weitere Unbill von ihr fernzuhalten.
Obwohl Carialle nur selten darüber sprach, hegte Keff doch den Verdacht, daß sie noch immer von Alpträumen über ihre Strapaze heimgesucht wurde – während jener willkürlich verteilten paar Stunden, da ein Gehirn es sich erlauben durfte, in die Traumzeit abzugleiten. Darüber hinaus hatte sie sich auch als die
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