Raumschiff der Generationen
vielfach und vielschichtig miteinander verband.
Zwar hatte jeder Mensch in diesem Netz irgendwo seinen Platz. Doch die Fäden des Netzes, die ihn mit den anderen Menschen verbanden, wurden aus recht verschiedenen Motiven geknüpft; aus Liebe, aus Freundschaft, aus Sorge um das Wohlergehen anderer, aber auch aus Ehrgeiz, aus Machtgier oder aus Prestigestreben.
Macht und Prestige waren überhaupt zwei der mächtigsten Triebfedern, die das Geschehen im SCHIFF bewegten.
Und dann war da noch dieser Riß. Er zog sich quer durch die Bevölkerung der Weltraumstadt hindurch. Kein räumlicher Riß, eher ein geistiger, genauer gesagt, ein biologischer: der Riß zwischen der älteren und der jüngeren Generation. Dieser Riß schien sich langsam aber sicher zu einem Abgrund zu erweitern.
Schuld daran trug – nach Marcs Meinung – die ältere Generation, für die das SCHIFF nur mehr die Bedeutung zu haben schien, einmal Bewährtes zu bewahren, Traditionen und Erinnerungen zu hüten, die Vergangenheit aufrechtzuerhalten.
Marc war sich darüber im klaren, daß sein Weltbild das Weltbild des Schiff geborenen war. Dennoch: Die Vergangenheit – wie hartnäckig und verzweifelt von den Alten auch immer beschworen – für ihn war sie Vergangenheit, nichts weiter als eine Mär – selten interessant, oft unverständlich, zumeist jedoch langweilig.
Zwar befand sich der Schlüssel zu dem, was er suchte, in der Vergangenheit. Doch es war die Vergangenheit des SCHIFFES und nicht der ERDE!
Als Marc zu diesen Erkenntnissen gelangt war, war er zwanzig Jahre alt. Seit zwei Jahren war er an der Akademie eingeschrieben. Er hatte ein Trimester nach dem anderen vertrödelt, mal in diesem, mal in jenem Fach studiert, ohne sich zu etwas Endgültigem entscheiden zu können.
Nachdem er auf diese Art mehrmals an Zwischenprüfungen gescheitert war, erhielt er vom Senator für Erziehung und Bildung den Bescheid, daß auf Grund seiner Leistungsdiagramme seine kostenfreie Studienzeit auf drei Trimester befristet worden sei.
Wenn er es sich jetzt überlegte, so hatte er es vor allem Tanne zu verdanken, daß er sich damals nicht selbst aufgegeben hatte. Tannes Glauben an ihn, sowie ihrer Fähigkeit, sich seine Probleme mit Verständnis und Geduld anzuhören, sein schwaches Selbstbewußtsein zu stützen, ihn gleichzeitig jedoch mit sanfter Gewalt zu einer Entscheidung zu drängen.
Marc hatte einen neuen Anlauf genommen. Er hatte sich in den Fächern Kommunikationspsychologie und Historische Soziologie eingeschrieben. Das erstere, um als Hauptberuf in Journalistik zu examinieren – wobei er hoffte, die kostenpflichtigen Trimester durch Veröffentlichungen von Essays und Feuilletons finanzieren zu können. Das letztere, weil die Historische Soziologie die einzige Möglichkeit war, Zugang zu authentischen Dokumenten der Vergangenheit zu erhalten. Alle anderen historischen Fächer waren längst gestrichen worden, seitdem offenkundig geworden war, daß sich unter den Raumgeborenen kaum noch jemand fand, der sich für diese Programme interessierte.
Ein Jahr später wußte Marc, daß ihn auch die Historische Soziologie seinem Ziel nicht nähergebracht hatte. Zwar war ihm zunächst das Studium der antiken planetarischen Gesellschaftsmodelle recht interessant erschienen. Jedoch wurde ihm allzubald bewußt, daß es das gleiche Interesse war, das etwa Biologen befiel, wenn sie in alten Spulen terranische Bakterienstämme abgebildet sahen.
Das, was er gesucht hatte, Referate, Essays oder andere Publikationen über öffentliche Geschehnisse, über politische Entwicklungen, ideologische Auseinandersetzungen und Programme schien es nicht zu geben, oder aber, sie wurden – aus welchem Grund auch immer – unter Verschluß gehalten.
Was er gefunden hatte, waren Hunderte von Kassetten, auf denen Gerichtsurteile, Amtsübernahmen, Bau- und Umbaupläne, Straßenverlegungen, Modernisierungsbeschlüsse für Freizeit- und Fabrikationsstätten, astronavigatorische Berechnungen, finanzwirtschaftliche Dispositionen und Verträge aktenkundig gemacht worden waren.
Und dann die Filme. Die Dokumentationen über die funktionelle, technische und räumliche Entwicklung des SCHIFFES. Auf dem Stereomonitor hatte Marc das Werden und Wachsen der Weltraumstadt wieder erlebt. Er hatte gesehen, wie aus einem Transportmedium, das anfangs nichts weiter war als ein riesiges Konglomerat von Triebwerkskammern, Treibstoff- und Vorratsdepots, von Unterkünften, Schächten und Stollen und
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