Raumschiff der Generationen
sein Erbgut manipuliert. Glücklicherweise stellte sich bei einer späteren Untersuchung heraus, daß Marcs Organismus die fremden Gentransplantate abgestoßen hatte. Sein Erbgut blieb intakt. Für seine unglücklichen Eltern kam diese Erkenntnis zu spät.
Pinarossi – der in Wirklichkeit übrigens Stanford hieß und sich erst im SCHIFF den Namen Pinarossi zugelegt hatte – hatte also damals die verbrecherische Manipulation vorgenommen. Er war dann aus dem Senat ausgeschieden und muß bald darauf angefangen haben, eine Doppelexistenz zu führen. Für seine Umgebung blieb er der ehrbare Gelehrte, der Ex-Senator, der sich in seinem Privatlabor seinen wissenschaftlichen Hobbys hingab. In Wirklichkeit ging er irgendwo an einem verlassenen Ort des SCHIFFES einer Tätigkeit nach, die vom Gesetz mit Höchststrafen geahndet wird: der genetischen Manipulation. Dabei war er nicht davor zurückgeschreckt, seine Theorien und Erkenntnisse selbst an lebenden Menschen zu testen. Es galt, diesen Mann so schnell wie möglich zu finden und ihn dingfest zu machen, bevor er großes Unheil über die Menschen im SCHIFF brachte.
Endlich hatte ich Glück. Eines Tages gelang es mir, mich Pinarossi so an die Fersen zu heften, daß ich ihn nicht mehr verlor. Ich lernte seinen geheimen Schlupfwinkel kennen. Doch an dem Tag, an dem ich zufassen wollte, machte mir das Erscheinen des fremden Raumschiffs einen Strich durch die Rechnung.«
»Pinarossi hat uns auf seiner Beobachtungsanlage gesehen, als wir vor dem Eingang standen«, sagte Thoralf. » Sie hat er allem Anschein nach nicht bemerkt. Warum nicht?«
Anatoli zeigte wieder das gewohnte Lächeln. Aus einer Tasche seiner Kombination förderte er einen flachen Zylinder zutage, dessen Mantel zur Hälfte aus einem Bildschirm bestand.
»Ich kannte Pinarossis ›Spion‹. Daher beschaffte ich mir einen ›Gegenspion‹! Bonne, meine Assistentin, installierte die Mikro-Aufnahmeoptik im Labor, und zwar hier oben …«, er deutete hinter sich auf das Schutzgitter des Lautsprechers, der sich über dem Eingang befand. »Sie steckt hinter dem Gitter, unter dem Sprecher. Dadurch konnte ich diesen Raum hier ständig überblicken. Als Pinarossi hier eintraf und über seinen Geheimsender sein Ultimatum stellte, machte ich mich auf den Weg.
Ich schlich mich so nahe an den Eingang, wie ich sicher sein konnte, daß mich die Aufnahmeoptik seines Gerätes nicht erfaßte. Als ich sah, wie Pinarossi seinen schwarzen Kasten losließ, um nach den Strahlern zu greifen, erkannte ich meine Chance. Wie ihr seht, habe ich sie genutzt.«
Eine Zeitlang sagte niemand ein Wort. Marc stand da wie versteinert. In seinem Kopf dröhnte es. Kaum bewußt spürte er Tanne neben sich, fühlte ihre Arme um sich. Erleichterung und Trauer waren in ihm. Erleichterung darüber, daß sein Organismus dem Anschlag auf sein Erbgut widerstanden hatte. Trauer darüber, daß diese Erkenntnis zu spät gekommen war, um seine Eltern vor dem Freitod zu bewahren.
Thoralf schritt zum Kontrolltisch und aktivierte den Sender, um Barbaroff zu informieren. Danach wandte er sich wieder zu Anatoli um und sagte: »Marc überstand also den Eingriff unbeschadet. Carezzini …«
»Carezzini ist … gezeichnet – irgendwie«, sagte Anatoli. »Bei ihm hat Pinarossi Erfolg gehabt. Es zeugt von der beispiellosen Gefühlskälte dieses Mannes, daß er bedenkenlos Carezzini gebrauchte, um ihn zum ausführenden Werkzeug seines Planes zu machen. Dieser und seine letzten Anhänger sollten die leitenden Stellen im SCHIFF besetzen und dafür sorgen, daß Pinarossis Befehle ausgeführt wurden.«
Terre, die, zusammengesunken in ihrem Sessel, den Bericht Anatolis hatte über sich ergehen lassen, hob den Kopf.
»Carezzini und Marc Hellberg«, flüsterte sie. »Ich habe es nicht gewußt …!«
Krupp Anatoli musterte sie. »Vieles geht zu Ihren Lasten, Terre. Sie waren es übrigens, die die Meldung des Aquadroms fälschten!«
Thoralf blickte zu Terre Constanza hinüber.
»Die Tatsache, daß uns Terre hierhergeführt hat, werden die Richter zu ihren Gunsten bewerten«, sagte er. Sie hatten Großer Stern passiert. Die Straße führte sie in Richtung Hauptzentrale.
Es war ›Juni-Zeit‹. Eigentlich hätten sie die Unterkünfte gar nicht verlassen dürfen. Aber Marc fuhr im Auftrag des Senats, und Tanne hatte für diesen Tag eine Sondergenehmigung erhalten.
Marc ließ den Blick über die Menschenmenge schweifen, die dicht gedrängt auf der Nord-Süd-Fahrt stand.
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