Raven (Shadow Force) (German Edition)
Gaddafi haben weitere Gewalt gegen Zivilisten verhindert. Würden wir unter solchen Umständen unsere Verantwortung ignorieren, wäre dies ein Verrat an uns selbst“, antwortete er mit Inbrunst.
„Verstehe.“ Lianne nahm einen kleinen Schluck Wasser, denn ihre Kehle war plötzlich wie ausgedörrt. Sie hatte schon den ganzen Tag das Gefühl, als ob ihr unmittelbare Gefahr drohen würde und gerade jetzt schien ihre Haut zu prickeln wie in einem Brausebad. Dieses Phänomen trat nicht zum ersten Mal auf, dennoch zu einem denkbar ungünstigen Augenblick. Hoffentlich bemerkte Hague nicht, wie unwohl sie sich in ihrer Haut fühlte. Das würde wenig professionell erscheinen.
„Welche Pläne gibt es für Oberst Gaddafi?“ Lianne ignorierte ihre körperlichen Reaktionen so gut wie möglich und konzentrierte sich.
„Pläne?“ Er hob eine Augenbraue.
„Großbritannien und die USA sollen vor Beginn der Gespräche die Bereitschaft signalisiert haben, einen Plan zu akzeptieren, wonach Gaddafi Libyen rasch verlassen und dafür einem Kriegsverbrechertribunal entgehen könnte“, fügte Lianne nach.
Natürlich hatte sie ihre Hausaufgaben gemacht und musste forsch sein, um an neue Informationen zu gelangen. Dexter Slatt hatte ihr diese Chance geboten. Sie musste sie nutzen, um nicht aufs Abstellgleis zu geraten .
„Ich kann nicht in die Zukunft schauen“, antwortete Hague brüsk. „Ich könnte mir jedoch vorstellen, dass Gaddafi vor dem Internationalen Strafgerichtshof der Prozess wegen Kriegsverbrechen gemacht wird.“
„Oder er wird getötet“, warf Lianne ein.
„Nicht mit Vorsatz, aber möglich ist alles im Kriegseinsatz.“
Lianne schätzte die Wahrscheinlichkeit, dass Gaddafi lebend in Gefangenschaft geraten würde, eher gering. Nach diesem Kommentar noch geringer. Vielleicht hatte er dieses Schicksal verdient, aber es war nicht an ihr, darüber zu urteilen. In diesem Moment traten zwei seiner Berater in den Raum und gaben Hague ein Zeichen. Sein nächster Termin wartete bereits und die Befragung neigte sich somit ihrem Ende entgegen. Sie hatte nicht einmal die Hälfte der vorbereiteten Fragen stellen können.
„Letzte Frage.“ Sein durchdringender Blick bohrte sich in ihre Augen.
Lianne atmete tief durch. „Es gibt verschiedene Spekulationen über eine spezielle und streng geheime Eingreiftruppe der Allianz. Was können Sie uns zur sogenannten Schattenmacht oder ‘ Shadow Force ‘ sagen?“
Diese Frage war nicht geplant und Lianne herausgerutscht, doch nun konnte sie diese nicht mehr zurücknehmen. Verdammt, warum hatte sie sich nur so wenig im Griff und nicht auf ihren Job sowie die genauen Absprachen mit ihrem Chef Dexter beschränkt? Manche Fragen durften nicht gestellt werden, waren tabu. In diesem Moment hätte man eine Stecknadel auf den Boden fallen hören können, so still war es. Hagues Augen verzogen sich einen kleinen Moment zu schmalen Schlitzen, dann entspannte sich sein Blick. Er stand auf, schüttelte ihre Hand zum Abschied und schenkte ihr ein verkrampftes Lächeln.
„Nie davon gehört.“
Lianne hielt seine Hand fest. „Das glaube ich nicht.“
Welcher Teufel war bloß in sie gefahren? Lianne zitterte stärker, konnte seine Hand jedoch nicht loslassen. Es war wie ein innerer Zwang.
„Wie bitte?“ Seine Stimme war mit Schärfe gefüllt.
„Damit sind zum Beispiel Agenten vom MI6 gemeint, die an einem verdeckten Einsatz britischer und amerikanischer Agenten beteiligt sind. Sogenannte Schattenkrieger, die die alliierten Truppen in Libyen unterstützen sollen. Gleiches in Afghanistan, damals im Irak …“
„Interessant.“ Hague unterbrach sie und versuchte, seine Hand aus der ihren zu winden, doch Lianne ließ sich nicht beirren. Das Kind war sowieso schon in den Brunnen gefallen und seine Berater bauten sich bereits drohend vor ihr auf.
„Ihre Aufgaben sind Informationen zu sammeln, Kontakte zu knüpfen, Ziele auszuloten, militärische Beratung und die Aufständischen zu trainieren. Diese spezielle Truppe wurde von einem meiner Kollegen als Schattenmacht oder Shadow Force bezeichnet und zu ihr hat mein Bruder gehört. Er ist dort in Libyen angeblich gestorben, jedoch glaube ich das nicht, denn ich würde es fühlen.“ Jetzt waren die Worte heraus und Lianne fühlte sich ein wenig erleichtert.
Endlich ließ sie Hagues Hand los und in ihre Augen traten Tränen. Heiliger Himmel, sie würde doch nicht weinen? Für einen Moment herrschte erneute Stille in dem kleinen Raum
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