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Ravinia

Titel: Ravinia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
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stapfte weiter durch die Menge, als gäbe es die Menschenmassen gar nicht, die mit Geschnatter und Einkaufstüten durch die Stadt eilten.
    Als sie am Fuß des Turms angekommen waren, nutzte Lara die Verschnaufpause, um das Gebäude eines Blickes zu würdigen. Es war achteckig, aus Backstein und wirkte furchtbar alt. Zumindest die untere Hälfte. Auf diesem Unterbau befand sich eine ebenfalls achteckige Verlängerung des Turms aus irgendeinem Metall, die sich nach oben etwas verjüngte. Am Dachansatz prangte eine große, runde Uhr mit goldenen Ziffern und Zeigern.
    Â»Wo sind wir?«
    Â»Du stellst häufig dieselben Fragen, oder?«
    Lara schnappte nach Luft. Tom verkaufte sie für dumm. Sie wollte sich gerade darüber empören, da fiel ihr ein, dass Tom sie vielleicht nur provozieren wollte.
    Â»Das war keine Antwort«, stellte sie also stattdessen fest.
    Â»Stimmt«, meinte Tom trocken.
    Â»Also?«
    Â»Das ist der Münzturm von Amsterdam.«
    Er trat an eine kleine eisenbeschlagene Tür heran und klopfte mit dem Handknöchel einen bestimmten Rhythmus dagegen. Alten Morsezeichen nicht unähnlich.
    Lara machte sich mit einem unzufriedenen »Aha« Luft.
    Tom schien auf etwas zu warten und verschränkte wieder die Arme.
    Â»Der Turm ist ein Überbleibsel der alten Stadtmauer«, erklärte er, während er sich in Geduld übte. »Es gab einmal zwei von ihnen. Auf jeder Seite des Wachhauses einen. Dann brannten sie ab. Diesem hier haben sie anschließend dieses seltsame eiserne Konstrukt aufgesetzt.«
    Lara blickte nach oben. Wie die goldenen Zeiger blendeten, obwohl der Himmel doch durch und durch grau war!
    Â»Es ist doch gar nicht so hässlich«, überlegte sie laut.
    Â»Nein«, stellte Tom klar. »Aber es passt nicht zum Charakter des Turms. Weißt du, warum er Münzturm –«
    Es klackte, und das Türchen sprang einige Zentimeter weit auf.
    Â»Ah«, machte Tom und ging hinein, ohne sich auch nur umzusehen.
    Lara hastete ihm nach. Hinein in ein enges Treppenhaus. Gemeinsam bestiegen sie eine Wendeltreppe, erhellt von billigen Glühbirnen, die schon viele Jahre alt sein mochten. Ab und zu liefen sie an einem Fenster vorbei, bedeckt mit einer dicken Staubschicht, sodass man nichts von dem sah, was sich auf der anderen Seite befand.
    Â»Dürfen wir hier einfach so rein?«
    Irgendwie schien es ihr, als wäre der Turm so etwas wie ein Denkmal. Etwas, das man nicht einfach so betrat.
    Â»Keine Ahnung«, antwortete Tom. Dabei klang er, als sei es ihm tatsächlich egal. So egal, wie es jemandem nur irgendwie sein konnte.
    Lara schnaubte.
    Â»Und wenn uns jemand sieht?«, hakte sie nach.
    Tom drehte sich noch nicht einmal zu ihr um, sondern zuckte nur erneut mit den Schultern.
    Â»Die Menschen sehen nur, was sie sehen wollen«, meinte er, als ob es ein Gesetz wäre, das jeder zu kennen habe.
    Â»Aber –«
    Tom blieb stehen und hob die Hand, um Lara zum Schweigen zu bringen.
    Â»Bitte«, sagte er. »Hör für einen Moment auf, Fragen zu stellen! Niemand wird uns folgen oder uns überhaupt bemerken. Wirklich. Niemand glaubt, dass man einfach so in den Münzturm gehen kann, deshalb wird uns auch niemand sehen. Menschen sind so. Aber bitte sei nun einen Moment ruhig! Unser Kunde ist kein Freund der vielen Worte. Ich rede, du hörst zu! Verstanden?«
    Ein kleines Kind. Das war es, was Tom in ihr sah. Ein kleines, dummes Kind. Na toll. Was konnte Baltasar eigentlich an so einem Griesgram finden, dass er ihn eingestellt hatte?
    Mit düsterem Blick folgte sie Tom die letzten Stufen hinauf, bevor sie die Tür zu einer alten Kammer erreichten. Tom klopfte behutsam an und trat ein, ohne auf eine Antwort zu warten.

    Drinnen war es staubig.
    Fahles Licht drang durch Fenster, an denen womöglich noch mehr Staub haftete, als an denen im Treppenhaus. Verhalten klang der Trubel von draußen herauf. Gedämpft durch Scheiben und Staub, Spinnweben und Papier. Unmengen von Papier. Blätter hingen an den Wänden, lagen verstreut über dem alten Dielenboden und stapelten sich in den Ecken. Sie schienen jegliches Geräusch aufzusaugen. Selbst die Schritte auf dem Boden klangen gedämpft. Wie durch Watte.
    In einer Ecke des Raumes stand ein schwerer Eichenschreibtisch, überhäuft mit Kerzenstummeln.
    Davor saß ein Mann mit einem Buckel.
    Er sah alt aus.
    Furchtbar

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