Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ravinia

Titel: Ravinia
Autoren: Thilo Corzilius
Vom Netzwerk:
junge Lady neben dir ist. Vielleicht jemand, der euer Handwerk lernen möchte?«
    Tom musterte sein Gegenüber mit scharfen Blicken.
    Â»Das kann ich dir sagen. Sogar beides und freiwillig.«
    Marcion hob die Augenbrauen, als habe er in jedem Fall mit einer anderen Antwort gerechnet.
    Â»Zum einen: Bei Nicolaes gab es ein Geschäft zu erledigen. Ein ganz gewöhnliches Geschäft. Jeder gibt dem anderen etwas von Wert, so läuft das bei ehrlichen Leuten, Marcion. Ihr Vaganten solltet euch das auch einmal angewöhnen.«
    Dann blickte er zu Lara hinab, die beinahe anderthalb Köpfe kleiner war als er.
    Â»Zum anderen: Das ist Lara.«
    Â»Hallo«, murmelte Lara, nicht sicher, was sie sonst sagen sollte. Sie streckte Marcion eine Hand entgegen. »Lara Mc…«
    Tom presste ihr die Hand auf den Mund.
    Â»Das darf er selbst herausfinden«, erklärte er schlicht.
    Zu Marcion gewandt sagte er: »Und nun verschwinde!«
    Â»Hey, ich habe nichts versprochen. Ich habe gesagt, möglich wär’s .«
    Tom straffte sich und trat an Marcion heran.
    Â»Verschwinde«, knurrte er.
    Ein weiteres Mal hoben sich Marcions Hände abwehrend.
    Â»Okay, okay. Nichts für ungut, Mann.«
    Damit wollte er sich umdrehen und in der Masse verschwinden, aber Tom war schneller.
    Â»Marcion«, rief er ihm hinterher.
    Der Angesprochene drehte sich mit breitem Grinsen noch einmal um.
    Â»Du schuldest mir zwei Antworten.«
    Das Grinsen auf Marcions Gesicht verschwand nicht.
    Â»Gerne«, meinte er. »Ich freue mich auf deine Miene, wenn sie ebenso unbefriedigend ausfallen werden wie die deinigen, Tom Truska.«
    Damit verbeugte er sich wie ein Akrobat nach einer gelungenen Vorstellung und huschte zwischen mehreren Leuten hindurch, so geschickt, dass er in Windeseile im Gedränge unsichtbar geworden war.
    Lara konnte wieder einmal nur staunen.
    Â»Und wer war das jetzt?«, fragte sie vorsichtig, beinahe behutsam, denn sie fürchtete, Toms Laune könnte in den Keller gesunken sein.
    Â»Marcion de Huhl«, bekam sie die schnaubende Antwort. »Ein Stadtvagant. Jemand, der anderer Leute Arbeit nicht wertschätzt.«
    Er stapfte durch die Menschenmengen, erneut ohne viel Rücksicht auf Lara.
    Vor der nächstbesten Tür – einem Hauseingang zwischen zwei Souvenirgeschäften – blieb er stehen und zog einen großen Schlüsselbund aus seiner Manteltasche. Lara hätte nicht sagen können, wie viele unterschiedliche Schlüssel daran hingen. Große, kleine, lange, dünne und viele mehr.
    Tom schloss blitzschnell auf und schob Lara mit einer einzigen Bewegung hindurch. Hinter ihnen knallte die Tür zu.
    Sie standen wieder auf der Victoria Street in Edinburgh. Gegenüber von Baltasars Laden.
    Â»Entschuldige«, meinte Tom, doch es klang nicht, als käme es von Herzen. »Mir ist der Appetit auf Schokolade gerade vergangen.«

    Schlechte Laune konnte Menschen im Handumdrehen verändern, das hatte Lara schon so manches Mal festgestellt.
    Tom stieß die Tür auf und fegte mit wehendem Mantel hinein. Lara stolperte hinterher.
    Â»Was ist denn mit euch los?«, fragte ein erstaunter Baltasar, der mit einem so ungestümen Auftritt offenbar ganz und gar nicht gerechnet hatte.
    Tom blieb abrupt stehen, warf ihm einen bitterbösen Blick zu.
    Â»Ich hatte gerade eine Begegnung mit Nicolaes«, setzte er an.
    Baltasar legte sein Werkzeug auf den Tisch und machte die Tür hinter Lara zu, um die Kälte auszusperren.
    Â»Ja und?«, fragte er. »Du hast ihm einen Schlüssel gemacht und ihn ausgeliefert. Das wussten wir vorher.«
    Tom warf mit einer lockeren Bewegung das in Papier gewickelte Bündel zu dem überraschten Baltasar hinüber, der es gerade noch mit der linken Hand auffangen konnte.
    Â»Dann habe ich Marcion getroffen«, fuhr Tom fort.
    Â»Oha«, machte Baltasar. Nicht ganz unbeeindruckt.
    Â»Und zu guter Letzt stellt die junge Miss mir ständig alle möglichen Fragen, die ihr in den letzten Tagen schon längst jemand hätte beantworten können. Zum Beispiel derjenige, der sie eingestellt hat.«
    Â»Ach«, kam es von Baltasar. »Ich sollte ihr also einfach so alles erzählen, was es mit hoher Kunst und Handwerk und Ravinia auf sich hat?«
    Â»Das bleibt dir überlassen«, meinte Tom gereizt. »Aber wieso sollte ich das tun? Ich habe sie schließlich auch nicht
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher