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Ravinia

Titel: Ravinia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
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auf der anderen Seite der Wasserstraße ragten seltsame Häuser in die Höhe. Sie waren alt wie diejenigen in Edinburgh, aber nicht grau, sondern aus rotem Backstein. Und sie waren bedeutend schmaler als die Häuser in Edinburgh. Sicherlich hatte man sie höher gebaut, um den fehlenden Platz im Inneren wieder wettzumachen, dachte Lara.
    Tom hatte sich an ihr vorbeigeschlängelt und zog mit einem energischen Ruck die Tür zu.
    Â»Lektion Nummer eins: Wenn du durch Türen gehst, die nicht dorthin führen, wohin der Architekt es wollte«, maßregelte Tom sie, »mach sie hinter dir wieder zu!«
    Lara nickte stumm, hörte aber kaum zu und blickte immer noch fasziniert um sich. Denn das hier konnte doch alles gar nicht wahr sein. Und die Vorstellung, dass man einfach so durch eine Tür an einen völlig anderen Ort treten könnte, war ja auch ein wenig absurd.
    Â»Wo sind wir?«, wollte sie wissen und klang dabei etwas atemloser, als sie beabsichtigt hatte.
    Â»In Amsterdam«, sagte Tom.
    Â»Und jetzt komm! Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit. Na ja, eigentlich hätten wir das schon, aber ich mag diese Stadt nicht. Baltasar hätte dich auch selbst mitschleifen können. Aber das spart er sich wahrscheinlich für Ravinia auf. Er liebt Überraschungseffekte.«
    Eilig stapfte Lara hinter ihm her.
    Â»Was ist Ravinia?«, rief sie.
    Â»Das kriegst du schon noch raus.«
    Â»Aber du weißt es doch.«
    Â»Ja.«
    Â»Und du sagst es mir nicht?«
    Â»Genau.«
    Â»Hmpf«, machte Lara, verlangsamte ihren Schritt – wobei sie immer noch beinahe zwei für jeden von Toms Schritten brauchte – und stiefelte neben ihm her an der Wasserstraße entlang.
    Â»Ich hasse Überraschungen!«
    Lara biss sich auf die Zunge. Das war ja wohl der dümmste Versuch gewesen, an eine Information heranzukommen, den sie jemals unternommen hatte. Seit ihrem achten Geburtstag. Mindestens!
    Â»Schicksal«, murmelte Tom und bog abrupt ab, sodass Lara hektisch hinter ihm herstolpern musste.
    Sie überquerten einen großen Platz mit vielen Menschen, und Lara bemerkte, dass sie hier alle Sprachen zu sprechen schienen – nur kein Englisch. Tom musste also recht haben. Sie waren in Amsterdam. Verflucht, natürlich hatte Tom recht!
    Sie würde sich wohl oder übel an die ganzen Unglaublichkeiten gewöhnen müssen als Lehrling bei Baltasar Quibbes.
    On a Tuesday in Amsterdam long ago.
    Das hatte Adam F. Duritz vor einiger Zeit gesungen und eine regenreiche Melancholie damit heraufbeschworen.
    Nun war es Freitag und nicht Dienstag, aber Amsterdam machte dem Song alle Ehre. Trist, so wie wahrscheinlich jede Stadt in diesen Breiten im frühen Januar. Das neue Jahr kam mit dem Wetter des Novembers daher, seitdem es weiße Winter nur noch in Geschichten zu geben schien. Nur das Licht war ein anderes. Oder auch nicht. Wenn nicht das Licht, dann war es die Stimmung, die ein Januarnachmittag mit einem so dreckigen Grau verbreitete. Das neue Jahr war noch beinahe unschuldig. Und schon durch Melancholie beschmutzt.
    Doch Melancholie hatte auch ihre schönen Seiten, das wusste Lara McLane, deren Leben wie ein Herbstregen war. Und Amsterdam besaß viel von jener eigentümlichen Schönheit in diesen Tagen.
    Im Sommer würde diese Schönheit vielleicht durch eine andere verdrängt. Jene unbeschwerte, sommerlich hitzige Schönheit mit keuchend heißen Tagen und warmen Abenden, an denen man der Glühwürmchen gedachte, die die großen Städte schon vor Jahrzehnten verlassen hatten.
    Doch Tom eilte davon, während Lara über Schönheit und Melancholie nachdachte und darüber hinaus auch noch aufpassen musste, nicht aus Versehen jemanden umzurempeln.
    Schubsend und drängelnd gelang es ihr, wieder Anschluss an Tom zu finden, der seinerseits schnurstracks auf den Turm im Zentrum des Platzes zusteuerte. Er ließ sich scheinbar nicht beirren von dem Gewusel, das es in Edinburgh höchstens gäbe, wenn Weihnachten und Ostern zusammenfielen und obendrein noch mehrere Tausend Liter Freibier zur Verfügung stünden.
    Â»Du darfst ihnen nicht in die Augen sehen«, meinte Tom nur, als sie ihn wieder eingeholt hatte. »Wenn du ihnen nicht in die Augen siehst, gehen sie einfach an dir vorbei und nehmen dich vielleicht noch nicht einmal wahr.«
    Â»Leicht gesagt«, entgegnete Lara.
    Tom zuckte mit den Schultern und

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