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Ravinia

Titel: Ravinia
Autoren: Thilo Corzilius
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geschliffenen Steinen. Als sei sie einem Gemälde Rembrandts entsprungen. Das war die düstergoldene Stadt am dunklen Fluss. Keine Beschreibung hätte es besser treffen können.
    So viel Geist.
    Schon vor einigen Straßenbiegungen hatte der Trubel zugenommen. Menschen waren vorbeigeeilt, hatten gegrüßt oder auch nicht, waren stehen geblieben, um Baltasar und Tom nach dem Befinden zu fragen, hatten in Grüppchen beieinandergestanden und geredet oder an den Tischen von Straßenbistros gesessen und Wasserpfeifen geraucht. Manche waren durchaus normal gekleidet dahergekommen, andere hatten Umhänge oder viktorianisch anmutende Gehröcke getragen. Hatten lange, helle, dunkle, violette oder gar keine Haare. Mal mit Zylinder, mal ohne.
    Es war Lara, als würde sie durch einen Strudel schwimmen, der die Zeitalter durcheinandergebracht hatte.
    Dann betraten sie den Marktplatz. Er war gesäumt mit Ständen. Dicht an dicht, chaotisch, wie auf einem Jahrmarkt. Auch hier wirkte alles ein wenig angestaubt. Schiefe Stangen hielten löchriges Leinen, und manche Stände – da war Lara sich beinahe sicher – hielten sich nur aufrecht, da der angrenzende Stand zur Stabilisierung mit einbezogen wurde.
    Es wurde lauter, das Gedränge nahm zu. Baltasar, Tom und Lara schlängelten sich an vielen Rücken, Schultern und Hintern vorbei. Von allen Seiten drangen die Anpreisungen der Händler an sie heran. Verkauft wurde anscheinend alles: Werkzeug, Spielzeug, Blumen, Obst, Räucherwerk und Keramik. Aber auch Teppiche, seltsame Jagdtrophäen, sich bewegende Bilder, lebendige Katzen, polierte Steine, getrocknete Dinge, von denen Lara lieber nicht wissen wollte, was sie waren oder gewesen sein mochten.
    Seltsame Gerichte und Speisen wurden zubereitet und taten ihr Bestes, Laras Nase mit fremdländischen Gewürzfahnen zu traktieren. Sie musste niesen und husten und stützte sich auf einer Auslage ab.
    Als sie die stechenden Tränen fortgewischt hatte und blinzelte, blickte sie in zwei runde, traurige Augen. Lara erschrak. Das kleine Gesicht sah beschämt weg. Es gehörte einem winzigen Männchen. Vielleicht wäre es Lara bis zum Knie gegangen. Es hatte braune, ledrige Haut, große Füße und ebenso große, fledermausartige Ohren. Es trug zerschlissene Kleider und polierte mit einem Küchentuch und hängenden Schultern einen metallenen Becher auf der Auslage des Händlers.
    Lara hatte beschlossen, sich für heute über nichts mehr zu wundern.
    Â»Wer bist du?«, fragte sie deshalb.
    Der Kleine blickte mit seinen großen Augen zu ihr auf, als sei er erstaunt, angesprochen zu werden.
    Dann sagte er mit einem dünnen Stimmchen zögernd: »Lipdidl«.
    Lara hielt ihm eine Hand hin.
    Â»Lara«, stellte sie sich vor.
    Der komische kleine Wicht hob langsam die Hand und legte sie in Laras, die sie daraufhin sanft schüttelte.
    Â»Lipdidl!«, tönte es gleich darauf von der anderen Seite des Standes. »Hab ich dir befohlen, dass du mit den Kunden plaudern sollst?«
    Der stämmige Mann mit dem schwarzen Vollbart, in dem eine ganze Kompanie Schwalben hätte nisten können, trat einen Schritt auf den Kleinen zu und zog ruppig an einer langen, dünnen Kette, die Lara bis jetzt nicht aufgefallen und die an Lipdidls Fuß befestigt war. Dem Kleinen wurde der Fuß weggerissen, er stolperte und schlug mit der Stirn auf den Tresen.
    Â»Hey!«, schrie Lara. »Sie Blödmann!«
    Der Mann sah sie an und zog die Augenbrauen zusammen.
    Da legte sich eine Hand auf Laras Mund und zog sie ins Gedränge zurück.
    Sie sah auf und bemerkte Tom.
    Â»Lass mich«, rief sie und versuchte, sich aus seinem Griff zu befreien. Tom hielt ihren Arm jedoch weiterhin fest und zog sie ein Stück mit sich.
    Â»Das war Dimitri Nuenko«, erklärte Tom ruhig. »Lass ihn.«
    Â»Aber er tut dem Kleinen weh«, protestierte Lara.
    Tom zuckte mit den Schultern.
    Â»Das ist Ravinia«, sagte er.
    Â»Findest du das etwa gut?«
    Tom blieb stehen und sah ihr in die Augen. Lange. Ernst.
    Â»Lipdidl ist ein Lutin«, sagte er schließlich. »Es gilt die Abmachung, dass sie in den Bergen und im Wald am anderen Ufer leben dürfen. Lipdidl war unvorsichtig, hat Ravinia betreten, und Dimitri oder jemand anderes hat ihn gefangen. Wir können nichts dagegen tun.«
    Lara stampfte wütend auf.
    Â»Verflucht!«, spie
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