Ravinia
gewordene Hass gewesen sein soll. Oder an das Schwert Tyrfing, geschmiedet von Zwergen, das angeblich nie rostete und durch Metall schnitt wie durch Butter.
Oder denk an all die Geschichten über fliegende Teppiche, die einen woanders hinbringen, über Kristallkugeln, die einem andere Orte zeigen. An den Stein der Weisen, der einen Menschen für immer jung halten soll. An die Minnegesänge, die Herzen schmelzen lieÃen wie Schnee. An Knochen, die einem die Zukunft weissagen. An Musikinstrumente, die Trauer und Stolz hervorrufen, wenn sie erklingen. An â«
»An Schlüssel, die an andere Orte führen?«, brachte Lara es auf den Punkt.
»Ãh, ja.«
»Schon gut, ich hab verstanden. Aber das erklärt immer noch nicht, wo ich hier bin und was ich hier tue.«
Baltasar seufzte.
»Tja«, meinte er. »Ich sage ja nicht, dass es all diese Dinge wirklich gegeben hat. Aber irgendetwas muss die Menschen veranlasst haben, an diese Geschichten zu glauben.
Und ein Teil der Wahrheit ist, dass es natürlich Leute gibt, die fähig sind, bestimmte Dinge zu tun, die anderen im Traum nicht eingefallen wären.«
Sein Blick wurde ein wenig düsterer.
»Letztlich erkannten viele von ihnen aber, dass sie sich durch ihre Talente von anderen Menschen unterscheiden, und sie begannen, sich zu organisieren. Denn wie du so schön festgestellt hast: Neid bringt nur Tod und Verderben. Und neidisch werden die Menschen immer. Sie missgönnen einem alles. Und wenn sie nicht neidisch werden, bekommen sie es mit der Angst zu tun. Mit der Furcht vor den Dingen, die sie nicht kennen.
Am schlimmsten wird es aber, wenn Neid und Furcht aufeinandertreffen.
Schon Augustinus schlussfolgerte im vierten Jahrhundert, dass alles physikalisch Unmögliche mit dem Teufel im Bund stehen müsse.«
Sein Blick wanderte und blieb an Laras kastanienbraunen Augen hängen.
»Du siehst, die Furcht vor dem Unbekannten ist allgegenwärtig.
Deshalb taten sich nach und nach viele Handwerker, Krieger, Heiler oder andere, die ihre Kunst in besonderer Weise beherrschten, zusammen. Sie gründeten geheime Gilden, Zünfte und Verbindungen, in denen sie sich ungestört austauschen konnten. In denen sie weitergeben und perfektionieren konnten, was ihnen an Talenten in die Wiege gelegt worden war.«
Baltasar seufzte leise.
»Irgendwann müssen wohl auch die Schlüsselmacher entdeckt haben, wie viel mehr ein Schlüssel noch zu tun vermag. AuÃer eine Tür oder ein Kästchen zu öffnen.«
Laras Patzigkeit wich ganz allmählich einer Faszination, die auf sie übersprang wie ein Funke auf trockenes Stroh.
»Aber das erklärt immer noch nicht, wo wir hier sind.«
»Geduld, Lara. Ich hatte doch um Geduld gebeten.«
»Jaja, schon gut«, murrte Lara. »Was geschah dann?«
»Dann kamen die Hexen«, ertönte plötzlich eine Stimme rechts neben ihr. Eine Stimme, die eigentlich zu jung war, um derart dunkel zu klingen.
»Tom.«
Lara und Baltasar wandten sich um, und Tom schlenderte seelenruhig auf sie zu. Die Hände in den Manteltaschen, den Kragen hochgeschlagen.
Erst jetzt fiel Lara auf, dass es überhaupt nicht kalt war an diesem Ort. Zumindest erfror man nicht gleich, so wie in Edinburgh derzeit. Kein klirrender Januar, der einen nahezu dafür bestrafte, dass man zu atmen wagte.
»Also ich an eurer Stelle würde ja wenigstens irgendwo anders hingehen, statt auf offener StraÃe die groÃen Zusammenhänge zu erklären«, meinte Tom schulterzuckend.
Baltasar verzog den Mund zu einem dünnen Strich.
»Hm, du hast ja recht«, gestand er, dachte eine Sekunde nach. »Was ist mit Melvin?«
Tom nickte kurz und knapp.
»Gut«, meinte er. »Gehen wir zu Melvin. Der dürfte zu Hause sein. Der Markt ist ihm zuwider.«
Tom machte kehrt, die anderen folgten ihm.
»Ihr seid zu spät«, bemerkte er auf dem Weg.
»Pardon«, sagte Baltasar nur, kratzte sich am Kopf und fragte dann: »Aber woher wusstest du, wo wir stecken?«
Tom zuckte erneut nur mit den Schultern.
»Schicksal«, sagte er bloÃ.
Ein verschmitztes Grinsen huschte über Laras Gesicht.
»Was ist jetzt mit den Hexen?«, wollte sie wissen.
»Na ja, mit ihnen hat alles angefangen«, gab Tom zurück. »Zumindest erzählt man sich das. Beweisen kann es jedoch niemand. Es ist nie etwas aufgeschrieben
Weitere Kostenlose Bücher