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Ravinia

Titel: Ravinia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
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du wirst vielleicht auch irgendwann eine Mechanikerin sein. Ruben hatte nie ein übermäßiges Interesse an Schlüsseln, deshalb hat er sich ganz auf die Uhrmacherei konzentriert.«
    Inzwischen hatten sie die Empfangshalle der großen Villa betreten. Barocke Schnitzereien mit abblätternder Farbe zierten die Stützbalken des Hauses. Eine mächtige Treppe mit verschnörkeltem Geländer ragte hinauf zu einer Galerie.
    Und überall waren Uhren. Eine Geräuschkulisse, ähnlich einem belebten Sommerwald, erfüllte raschelnd die Luft. Baltasar verzog den Mund.
    Hunderte Uhren gaben ihr Ticken und Tacken von sich und füllten den Raum mit Unruhe. Mächtige Standuhren, filigrane Glasuhren, verschrobene Kuckucksuhren oder ganz einfach Uhren, die nur aus Ziffernblatt und Zeigern zu bestehen schienen. Alle Ecken, alle Wände waren voller Uhren.
    Dann ertönte ein mächtiger Gong aus einer der großen Standuhren, und augenblicklich brach das Chaos los. Alle Uhren bekundeten gleichzeitig den Stundenwechsel durch Klingeln, Piepen, Glockenschlagen oder anderweitige Geräusche. Es war ein Geräuschemeer, das die Welt explodieren ließ. Alle pressten die Hände auf die Ohren, selbst der sonst so beherrschte Mr Falter. Lediglich Tom blieb gelassen, und niemand konnte ihm ansehen, ob es ihm schlichtweg nichts ausmachte oder ob er das Bad in der Geräuschkulisse sogar auf irgendeine Art und Weise genoss.
    Fast gleichzeitig verstummten die Uhren wieder.
    Jemand Weiteres war am unteren Ende der Treppe aufgetaucht. Unbemerkt von allen, außer Tom vielleicht. Ein Mann mit feistem Gesicht, dunklem Haar und einem ebenso dunklen Schnurrbart, dessen Enden mit Wachs nach oben gezwirbelt waren. Vor ein Auge des Mannes war ein Monokel geklemmt. Lara schätzte ihn auf etwa vierzig. Vielleicht zehn Jahre älter als Tom. Er trug Pantoffeln und einen dicken, orangeroten Morgenmantel, unter dem sich der Beginn eines wohlgenährten Bauches abzuzeichnen begann. In seiner Hand dampfte eine Tasse Tee.
    Â»Das nenne ich eine Überraschung«, krähte der Mann. »Baltasar Quibbes, sieh einer an! Welches Unglück ist mir denn widerfahren, dass ich dich in meinem Haus begrüßen darf?«
    Es konnte sich also nur um den Hausbesitzer Ruben Goldstein handeln. Hinter ihm tauchte der mechanische Diener wieder auf. Und ein weiterer. Beide schienen jeweils auf unterschiedliche Weise zusammengebaut zu sein und doch waren sie sich unheimlich ähnlich.
    Â»Der Mann dort bat um Einlass.«
    Der Diener, der ihnen geöffnet hatte, wies auf Tom.
    Stattdessen trat Falter einen Schritt vor, machte eine Verbeugung.
    Â»Mr Goldstein? Ich bin Hermann Falter vom Kommissariat in Ravinia. Ich hätte einige Fragen an Sie. Dass Sie mit Mr Quibbes im Clinch liegen, tut nichts zur Sache.«
    Ruben Goldstein hob erstaunt diejenige Augenbraue, die nicht damit beschäftigt war, das Monokel festzuklemmen.
    Â»Was halten Sie davon, die ganze Sache bei einer Tasse Tee zu erörtern?«, schlug er vor.
    Mr Falter nickte. Ihre Reisegesellschaft war müde und hatte seit Prag weder feste noch flüssige Nahrung zu sich genommen.
    Die mechanischen Diener eilten aus dem Raum, und Ruben Goldstein bat seine Gäste nach nebenan in ein geräumiges Speisezimmer, wo sie um einen Tisch herum Platz nahmen.

    Das Schicksal war kein Verräter.
    Es spuckte lediglich dauernd welche aus.
    Der Tee war edel und sehr heiß, und er tat gut nach den kalten Regengüssen der böhmischen Provinz. Der Diener servierte ihn in dünnwandigem Porzellan. Lara nahm ihre Tasse zögernd, denn das Klicken und Klacken des Mechanikmannes widerte sie an. Doch die Aussicht auf ein wenig Wärme in ihrem Magen überwand schließlich die Abneigung.
    Mr Cooper indes hatte es noch nicht geschafft, sich zusammenzureißen. Er lehnte die angebotene Teetasse dankend ab. Mr Falter hatte einen Blick mit der Wahrsagerin ausgetauscht, aber diese hatte ihm zugenickt und das heiße Getränk selbst getrunken. Es wäre ja auch ein sehr plumper Versuch gewesen, ihnen zu Leibe zu rücken.
    Ein weiterer mechanischer Diener – skurrilerweise mit einer Kochmütze – hatte ihnen selbst gebackene Kekse serviert, die allerdings tatsächlich niemand anrührte. Teig, der auf Gutdünken von einer Maschine zusammengerührt worden war? Das schien nun wirklich zu absurd.
    Â»Sagt Ihnen der Name Henry McLane

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