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Ravinia

Titel: Ravinia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
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Erinnerungen herumspielen. Manche können an andere Orte sehen. Es gibt vieles mehr, was Wahrsager zu tun vermögen. Es lässt sich nur schwerlich unter einen Hut bringen. Tja, so ist das mit uns.«
    Lara nickte verwirrt.
    Â»Ravinia hat unendlich viele Facetten«, fuhr Geneva anstelle von Mama Zamora fort. »Man kann Jahre, sicher sogar Jahrzehnte dort verbringen und kennt sie doch nicht alle.«
    Â»Nicht einmal Lord Hester kennt alle Geheimnisse der Stadt«, raunte Mama Zamora. Es klang verschwörerisch, als ob sie Angst habe, gehört zu werden.
    Â»Obwohl er vielleicht mehr kennt, als jeder andere«, bestätigte Geneva.
    Â»Lord Wer ?«
    Schon wieder ein neuer Name. Würde das denn niemals aufhören? Es war tatsächlich so, als existiere eine ganze Welt, von der Lara noch nie zuvor gehört hatte.
    Â»Lord Hester«, meinte Geneva. »Er ist der Herr von der Burg Ravinia.«
    Â»Die Burg habe ich schon einmal gesehen«, erinnerte sich Lara an jenen Moment auf Eusebius Lanchesters Balkon mit dem wunderbaren Blick über die Stadt.
    Â»Lord Hester wohnt dort«, fuhr Geneva fort. »Er ist der Herr der Raben. Er gebietet über sie und sieht und hört auf diese Weise viele, viele Dinge in und um Ravinia. Er ist zwar nicht der Herr der Stadt, aber er ist eine, wenn nicht gar die Autorität in Ravinia.«
    Â»Und er wohnt auf der Burg?«, vergewisserte sich Lara.
    Geneva nickte.
    Â»Wohnt sonst noch jemand dort?«
    Nachtwächterin und Wahrsagerin sahen sich kurz an.
    Â»Nicht dass ich wüsste.«
    Â»Seltsam«, meinte Lara. »Tom meinte kürzlich, er würde dort im Torhaus wohnen.«
    Ihre Gegenüber bekamen große Augen.
    Geneva lachte kurz, besann sich aber, als sie merkte, dass Lara es völlig ernst meinte.
    Â»Tatsächlich?«
    Lara nickte nur, und Geneva sah sich nach Tom um, der immer noch gedankenverloren die Gleise entlangblickte.
    Â»Seltsamer Kerl«, überlegte sie schließlich halblaut.

    Manchmal versinkt die Welt hinter flüsternden Schleiern aus Regen.
    Und dieser Regen weigerte sich auch den Rest der Zugfahrt hartnäckig, aufzuhören. Im Gegenteil, als die Hügel der Landschaft steiler wurden, fiel auch der Regen stärker. Ein schlecht geheiztes Abteil machte die Reise auch nicht angenehmer.
    Lara musste an Rabbi Friedmann aus der Stadt des Schmerzes denken, an die Gefühle, die sie im Laufe von nicht einmal einer halben Stunde über sein Gesicht hatte ziehen sehen: Freude, Trauer, Trotz und Entsetzen. Maßloses Entsetzen. Was konnte jemand wie Roland Winter nur angestellt haben, dass es einen alten jüdischen Rabbi dermaßen aus der Fassung brachte? Dass er seine Schweigepflicht übertrat? Und wer war Ruben Goldstein? Ein alter Freund von Winter? Und was wollte er von ihrem Großvater, nein, von ihr ?
    Fragen über Fragen über Fragen.
    Das Städtchen Krumau wirkte wie aus einem Märchen. Uralte Häuser säumten die Straßen und ließen die Stadt aussehen, als sei sie direkt dem Mittelalter entsprungen. Beinahe wie ein kleines Prag lag sie da. Ebenfalls an der Moldau, größtenteils auf der Halbinsel einer ausladenden Flussbiegung erbaut. Und wie in Prag thronte auch hier ein Schloss über den zahllosen roten Dächern. Allerdings lagen links und rechts weite, bewaldete Hügellandschaften, wo in Prag nur kilometerweite Großstadt war.
    Vielleicht hatte Krumau nicht den goldenen Glanz der Karlsstadt, aber es schien dafür bunter zu sein. Lebhafter. Persönlicher. Selbst im prasselnden Regen wirkte diese Stadt aus irgendeinem Grund einfach freundlich.
    Nachdem sie den Bus zum Marktplatz genommen hatten, gingen sie einige Seitengassen hinunter zu einer breiten Straße am Fluss. Unter einem Vordach warteten sie, bis Tom in einer Telefonzelle auf Tschechisch zwei Taxis bestellt hatte. Dann schlenderte er zu ihnen hinüber, als ob ihm der Regen nichts ausmachen würde. Jeder andere wäre vermutlich gerannt, um so wenig Wasser wie möglich abzubekommen. Beinahe schien es, als würde Tom die prasselnden Tropfen auf der Haut genießen.
    Ein paar Minuten später erschienen die Taxis. Aus einem stieg ein untergewichtiger Kerl in den Vierzigern mit einer zerschlissenen Baskenmütze und einem glühenden Zigarrenstummel im Mundwinkel.
    Er stellte sich als Radu vor und als Chef des Taxiunternehmens. Lara und Geneva warfen sich einen Blick zu. Keine

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