Ravinia
Falter gemurmelt, als sich Geneva und Lara artig bedankten. »Man muss die Stimmung durch stummes Warten ja nicht noch mehr strapazieren.«
Und für den Bruchteil einer Sekunde glaubte Lara, eine flüchtige Andeutung von Gutmütigkeit in den Zügen des wolfartigen alten Kommissars zu entdecken.
Dann hatte er sich einen doppelten Espresso bestellt. Cooper hatte sich mit schwarzem Kaffee abgegeben, ebenso wie Baltasar und Mama Zamora. Der Rest hatte heiÃe Schokolade getrunken.
Geneva unternahm einmal den unmerklichen Versuch, Tom in ein Gespräch zu verwickeln. Nur scheiterte dies â natürlich â am düster dreinblickenden Tom, der Worte als ein knappes Gut anzusehen schien. Der Rest hielt ein wenig Small Talk miteinander. Ãber Filme und Bücher und Musik. So ergab sich wenigstens etwas Kurzweil, wenn Lara sich auch nicht so richtig auf ein Gespräch zu konzentrieren vermochte.
Schweigend gewartet hatten sie dann allerdings doch noch. Und zwar auf ihren Anschlusszug in Budweis.
SchlieÃlich hatte es Lara nicht mehr ausgehalten:
»Warum sind Sie eigentlich mit von der Partie?«, fragte sie Mama Zamora ganz ungeniert.
Die Angesprochene hatte offenbar mit dieser Frage absolut nicht gerechnet und schüttelte verdutzt den Kopf.
»Wie meinst du das?«
»Na ja, jeder hier â abgesehen von mir â hat eine Aufgabe bei den Ermittlungen zu erfüllen. Die beiden Kommissare ermitteln (ein mehr oder weniger verkniff sie sich), die Schlüsselmacher verschaffen ihnen Zutritt, wohin sie wollen, und kürzen Reisewege ab und Geneva sorgt für die Sicherheit. Aber wozu sind Sie da?«
Jetzt begann Mama Zamora zu grinsen. Ganz breit, so wie es zu ihrem Gesicht passte. Dabei enthüllte sie eine Reihe von Goldzähnen, die das Bild einer alten Zigeunerin mitsamt den bunten Sachen, den groÃen Ohrringen und dem Kopftuch abrundeten.
»Dies und das«, sagte sie geheimnisvoll. Dann bewegte sie ihr Gesicht ganz nah an Laras heran, was sich etwas schwieriger gestaltete, da Mama Zamora zwar erheblich mehr wog als Lara, aber gut einen halben Kopf kleiner war.
»Hauptsächlich aber«, raunte sie, »damit uns niemand belügt.«
»Wie, belügt?«
Dumme Frage. Das merkte Lara allerdings erst an der Antwort.
»Ganz einfach, wenn uns jemand eine Tomate hinhält und behauptet, es sei ein Ei, dann ist das eine Lüge.«
Geneva musste unwillkürlich lachen. Auch auf Mr Coopers Gesicht stahl sich ein verschmitztes, kaum zu übersehendes Grinsen, und Lara kam sich mit einem Mal wieder sehr klein vor.
»Das meinte ich nicht«, protestierte sie, als sie merkte, wie plump ihre Frage gewesen war.
»Ich weiÃ.«
Mama Zamora lächelte ihr Goldzahngrinsen.
»Ich bin quasi der Lügendetektor hier«, sagte sie schlieÃlich.
»Sie meinen, Sie können den Leuten ansehen, wenn sie lügen?«
»Ay.«
Unfassbar. Was Ravinia nicht alles für seltsame Gestalten ausspuckte. Aber natürlich, so musste es sich wohl mit der Zunft der Wahrsager verhalten. Immerhin nannte man sie ja Wahr sager.
»Ist es das, was Wahrsager tun können?«, erkundigte Lara sich schlieÃlich. »Ich meine, Entschuldigung. Ich habe noch nicht sehr lange mit Ravinia zu tun. Und Baltasar und Tom, na ja, sie sind nicht sehr gut darin, einem sonderbare Dinge zu erklären.«
Mama Zamora warf einen Blick in Richtung der beiden Schlüsselmacher. Der eine rauchte, der andere stand etwas abseits und starrte in die Leere der Bahnhofshalle, während der Regen von oben in einer Mischung aus Prasseln und Knirschen auf das Dach strömte. Ob einer von ihnen zugehört hatte, konnte ihnen niemand ansehen.
»Oh ja«, meinte sie schlieÃlich. »Das kann ich mir wahrlich gut vorstellen. Mr Quibbes ist für seine Geheimnistuereien bekannt. Und Tom, nun ja, sagen wir mal, er ist selbst in den Augen eines Wahrsagers sehr eigen.«
Baltasar zwinkerte zu Mama Zamora herüber. Er hatte sie also verstanden.
Mama Zamora streckte ihm die breite, fleckige Zunge raus, und Baltasar wandte sich schmunzelnd ab.
»Also«, kehrte sie zum Thema zurück. »Was uns Wahrsager betrifft: Nein, das ist nicht alles, was wir können. Viele von uns können viele seltsame Dinge. Es ist vielleicht nicht ganz so einfach zu begreifen wie bei Malern oder Mechanikern. Manche von uns haben Visionen. Manche können mit
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