Raya und Kill - Gefaehrliche Grenze
getan, und dann war ich eifersüchtig … habe Becky
den Schmuck nicht gegönnt. Es war feige und gemein von mir, das Teil im Klo
runterzuspülen.«
Becky dreht den Kopf zur Seite, so dass ich ihr
Gesicht, eine kurze Nase und ein weiches Kinn, im Profil sehen kann. Sie
verharrt in der Bewegung und hält sich an der Spindtür fest. Eine Träne rollt
über ihre Wange.
Jetzt habe ich ein megaschlechtes Gewissen. Die
ganze Zeit ging es nur um mich. Wie Becky sich dabei fühlt, habe ich nicht eine
Sekunde bedacht. Ich habe ihr erst etwas geschenkt und es ihr dann wieder
weggenommen. Sie ist zu recht zutiefst verletzt.
»Becky, es tut mir aufrichtig leid«, sage ich und
recke den Hals. »Wie kann ich es wieder gut machen?«
»Gar nicht«, zischt sie leise. Ihr Unterkiefer
zittert.
»Tut mir wirklich leid«, murmele ich und gehe zu
meinem Spind, während Alice und Kiki im Bad verschwinden.
Ich streife das Shirt über den Kopf und steige aus
der Hose. Dann ziehe ich das grüne Kleid vom Bügel, atme kurz durch und
schlüpfe hinein. Heute muss ich das Kleid anziehen. Es ist im Dirndl-Stil
gearbeitet und hat vorne vier wunderschöne silberfarbene Schmuckknöpfe in der
Form von Enzianblüten. Ich krame in meinem Schrank, ziehe meine Nagelschere
hervor und schneide kurzentschlossen die Zierknöpfe ab. Dann zupfe ich
sorgfältig die Fäden heraus. Das Kleid hat seinen Glanz verloren. Jetzt gleicht
es eher einem schlichten Bauernkleid. Als ich den Reißverschluss zuziehe,
kommen Alice und Kiki frisch geduscht aus dem Bad.
»Wow, im Kleid!«, sagt Alice. »Was hast du denn
vor?«
»Bin mit Connor verabredet«, lüge ich.
»Der Su…?« Sie beißt sich auf die Lippe und läuft
rot an.
»Boa, Alice.« Ich sauge scharf die Luft ein. »Du
hast gewusst, dass er ein … ähm, was er ist? Und du hast uns nichts gesagt?«
»Moment mal. Ich habe nichts gewusst. Was meinst
du? Aber es ist seit der Exekution auf dem Dach ein offenes Gerücht, wer das war.«
Kiki macht riesengroße Telleraugen. »Isch höre
davon gerade schum erschten Mal. Na toll, dasch isch esch auch noch erfahre«,
schnaubt sie. »Wir haben Schucher hier im Bunker. Dasch hätte ich mir ja denken
können.«
»Sorry Kiki, ich bin doch gerade erst zurück«, stammele
ich. »Und ich wollte es euch ja jetzt sagen. Na ja, Alice, dir muss ich es ja
nicht mehr erzählen.« Enttäuscht blicke ich sie an.
Sie flattert mit den Lidern. »Ehrlich, Kiki, ich
dachte, du hättest das mitbekommen. Das wurde doch letzte Woche beim Abendessen
lang und breit diskutiert.«
»Schon gut«, lenkt Kiki ein. »Isch lag krank im
Bett. Und du hascht einfach nüscht dran gedacht.«
Alice nickt heftig.
Ich atme erleichtert auf.
»Und du, Schoraya. Wasch hascht du mit dem Kerl zschu
schaffen?«
Mir wird heiß und kalt. Jetzt bloß nicht schon
wieder lügen. Bleib wenigstens halbwegs
bei der Wahrheit!, warnt mich mein Unterbewusstsein.
»Er geht seit der Sache nicht mehr in den
Unterricht. Vorhin kam er beim Training vorbei und wollte sehen, wie es mir
geht.« Ich rolle mit den Augen. »Menno, was glaubt ihr wohl, warum er
ausgerechnet in meiner Klasse war? Die anderen sind alles in Ungnade gefallene
Schüler, mickrige Rowdies oder die Klassen-Loser, die ihren Abschluss nicht
geschafft haben. Aber ich … ich habe eine Tür manipuliert und die Sicherheit
der Stadt gefährdet, nur weil ich einen Wasserfall sehen wollte. Ich vermute,
er will mich noch einmal über die Sache ausquetschen, für seinen Abschlussbericht.
Was habt ihr gedacht, warum ich so ein Kleid trage? Bestimmt nicht zum
Vergnügen.«
Die Knöpfe in meiner geballten Hand schmerzen, so
fest habe ich zugedrückt. Nur langsam gelingt es mir, die Finger zu lockern.
Kiki blickt schräg von unten zu mir hoch. »Isch
geb dir einen Tipp«, zischt sie. »Lasch den Kerl reden. Und schtell disch blöd.«
»Danke.«
Am liebsten hätte ich sie jetzt in den Arm
genommen, aber sie ist nicht der Typ für so was.
Flüchtig streift mein Blick Alices Gesicht. Den
Ausdruck kann ich nicht deuten. War Connor wirklich das Gespräch hier? Oder hat sie gelogen? Ich zögere, blicke von
Alice zu Kiki und zurück zu Alice.
»Eigentlich habe ich doch gar nichts verbrochen.
Er kann mir nichts«, nuschele ich, um Alice nicht auf neue Gedanken zu bringen.
Langsam drehe ich mich um. Nur Kiki ahnt, wer ich
bin, und sie wird über das Amulett schweigen. Ich gehe an Beckys Bett vorbei.
Sie liegt auf dem Rücken, hat die Augen geschlossen. Ihre Miene
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