Raya und Kill - Gefaehrliche Grenze
lockert für einen Augenblick den Griff. Das
genügt, um mich herauszuwinden und nun meinerseits nach ihm zu greifen. Ich
packe seine Handgelenke und schiebe die Arme mit einem energischen Ruck zur
Seite.
Er reißt überrascht die Augen auf. Da ich einen
Fuß vorgestellt habe, kann der Rollstuhl nicht wegrutschen, sondern kippt
brachial zur Seite.
Ohne mich nach Connor umzublicken laufe ich zur
Tür. Hastig drücke ich den Griff runter und öffne. Mein Herz klopft bis zum
Hals.
Bloß raus hier!
Er weiß doch alles über mich. Er bespitzelt ja
sogar Alice und vermutlich alle anderen. Kiki, Becky, Babette … Ich muss
irgendwie diesem Bunker entfliehen … am besten zusammen mit Kill.
»Soraya, bitte!« Connor stöhnt leise.
Ich zögere. Soll ich umkehren, mit ihm reden? Ist
es nicht bereits zu spät, um noch irgendetwas zwischen uns zu richten?
In Sekundenschnelle entsinne ich mich an die eben
erlebte Szene, an meine rabiate Gegenwehr und an seine aufgerissenen Augen, als
er hilflos fiel.
Ich drücke die Tür zu und setze einen Schritt vor
den anderen. Dann hocke ich mich hin. »Es tut mir leid«, flüstere ich.
»Ich habe es nicht besser verdient«, murmelt er. »Hilf
mir bitte und stelle den Rollstuhl hin! Dann bin ich schneller aus dieser
demütigenden Lage befreit.« An seinem ruckenden Kehlkopf erkenne ich, dass er
schluckt.
Wortlos stelle ich den Rollstuhl auf, sehe zu, wie
Connor sich hochzieht. Er trägt ein schwarzes, ärmelloses Shirt. Ich starre auf
seine Oberarmmuskeln. Sicherheitshalber trete ich einen Schritt zurück. Noch
einmal lass ich mich nicht überrumpeln.
Doch er rollt friedlich an den PC heran, greift in
die Schublade.
»Setz dich!«, sagt er.
Ich höre deutlich, dass seine Stimme zittert. Ob
vor Wut oder Enttäuschung kann ich nicht erkennen.
Sein Handrücken blutet. Trotz meiner kurzen
Fingernägel habe ich ziemlich tief gekratzt.
Connor drückt ein weißes Stofftuch darauf. Dann
dreht er den Kopf zu mir und kneift die Augen zusammen, bis nur noch wenig Blau
hervorblitzt.
Ich weiche seinem Blick nicht aus. Diesmal nicht.
Meine Wangen glühen.
»Du hast mich verblüfft. Soraya. Ich habe nicht so
viel Entschlossenheit erwartet«, sagt er ganz ruhig. »Das nächste Mal drücke
ich fester zu. Versprochen!«
Es ist mehr als ein Versprechen. Es ist eine
Drohung.
»Fuck! Was redest du? Du hast mir fast das
Handgelenk gebrochen.«
Er hebt eine Augenbraue. »Du hast mich aus dem
Rollstuhl geworfen.«
»Geschieht dir recht.«
Plötzlich beginnt er zu grinsen. Sein Mund wird
breiter. Dann lacht er schallend.
Ich blicke mich um. »Was ist jetzt so komisch?«
»Dein Kleid. Du siehst aus wie eine Lady. Etwa
meinetwegen?«
Ich nicke beschämt.
»Damit hast du mich ganz schön irritiert. Ich habe
für einen Moment vergessen, dass du 'ne Gill bist. In der Verkleidung siehst du
aus wie ein schwaches Mädchen. Aber das bist du nicht. Du bist so was von …
eine Kriegerin. Das ahnst du gar nicht.«
Sein Lächeln erstirbt plötzlich.
»Sag mir, was du mit meinem PC gemacht hast! Und
diesmal keine Lügen.« Der Unterton in seiner Stimme ist ungeduldig, beinahe
eisig.
Meine Hände beginnen zu zittern. War es ein Fehler
umzukehren? Hätte ich mit Kill fliehen sollen oder wären wir jetzt schon beide
tot? Darüber darf ich nicht nachdenken. Doch wenn ich nicht denken darf, dann
muss ich mich auf mein Gefühl verlassen. Connor
– welche Seite an dir ist die wahre? Die, vor der ich mich fürchte, oder die
andere, die verletzliche?
Mit einem mehr als dumpfen Gefühl in der
Magengegend beschließe ich, ihm die Wahrheit zu sagen. Mir ist bewusst, dass
ein Sucher darauf ausgebildet ist, Wahr und Unwahr zu erkennen. Mit einer Lüge
würde ich das glimmende Fünkchen in seinen Augen für immer löschen.
»Connor, mein sehnlichster Wunsch …«
»Setz dich!«, unterbricht er mich und greift nach
der Stuhllehne. »Ich sehe ungern hoch.«
»Entschuldige.« Ich setzte mich auf die
Stuhlkante. Immer noch bereit, jederzeit aus diesem Raum zu flüchten, falls
meine Erklärungsversuche misslingen.
»Also, mein sehnlichster Wunsch ist es, eine Gill
zu werden.«
»Körperlich bist du dem gewachsen, aber emotional
habe ich da so meine Zweifel.«
»Darf ich reden?«
»Bitte.«
»Doch, wenn ich Weihnachten heirate, wird nichts
daraus.«
Er nickt. »Du bist dem Sohn von Cesare Liberius
versprochen. Pa:ris wird erst eine glänzende Karriere beim Gill-Corps hinlegen
und, sobald sein Vater abdankt, den
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