Rebeccas Traum
denkst.«
Nun bereitete er sich auf das Schlimmste vor. »Was hast du denn getan? Bist du aus den USA geflohen?«
»Nein … Ja.« Rebecca lachte traurig auf. »Ja, ich bin davongelaufen. Ich komme aus Philadelphia, wie ich dir schon gesagt habe. Dort habe ich mein Leben lang gelebt. Bin dort zur Schule gegangen und habe gearbeitet.« Sie suchte in ihrem Morgenmantel nach einem Taschentuch. »Ich bin Buchhalterin.«
Stephanos blickte sie an, während sie sich die Nase putzte. »Wie bitte?« fragte er verständnislos.
»Ich sagte, ich bin Buchhalterin«, stieß Rebecca hervor, wandte sich ab und stellte sich mit dem Rücken zu ihm ans Fenster.
»Ich kann mir dich schwer beim Zusammenzählen von Zahlenkolonnen vorstellen, Rebecca. Aber wenn du dich hinsetzen würdest, könnten wir vielleicht darüber sprechen.«
»Hörst du nicht, ich bin Buchhalterin! Bis vor einigen Wochen arbeitete ich noch als Angestellte für ›McDowell, Jableki und Kline‹ in Philadelphia.«
»Gut, aber was hast du denn nun getan? Kundengelder unterschlagen?«
Da konnte Rebecca nicht anders. Sie warf den Kopf in den Nacken und lachte lauthals los. »Nein, ich habe in meinem ganzen Leben noch nichts Unrechtes getan«, sagte sie, nachdem sie sich wieder beruhigt hatte. »Ich habe noch nicht einmal einen Strafzettel für Falschparken erhalten. Ich habe nichts getan, was über das Normale hinausging – bis vor ein paar Wochen.«
»Wie meinst du das?«
»Ich habe niemals weite Reisen unternommen, noch nie hat mir ein Mann eine Flasche Champagner an den Tisch geschickt, ich bin niemals im Mondschein am Mittelmeer mit einem Mann spazieren gegangen – und habe auch nie einen Geliebten gehabt.«
Er sagte nichts, sondern blickte Rebecca nur verblüfft an.
»Ich hatte einen gut bezahlten und interessanten Job, und mein Auto war bar bezahlt. Ich hatte mein Geld gut angelegt, um im Alter versorgt zu sein. Meine Freunde kannten mich immer nur als sehr zuverlässig. Sie wussten, sie konnten auf Rebecca zählen. Wenn sie einen Rat oder jemanden brauchten, der ihre Katze pflegte, mussten sie nicht lange überlegen. Ich kam nie zu spät zur Arbeit oder ging fünf Minuten früher zu Mittag, wie viele meiner Kollegen.«
»Sehr lobenswert«, war sein einziger Kommentar.
»Also genau der Typ Angestellte, den du gern einstellen würdest, kann ich mir vorstellen.«
Er lachte vor sich hin, denn er hatte ganz andere Geständnisse erwartet. Er hatte mit der Existenz eines Ehemanns oder sogar mehrerer gerechnet, oder damit, dass sie vielleicht sogar wegen einer Jugendsünde einmal im Gefängnis gesessen hatte. Stattdessen erfuhr er nun von ihr, dass sie eine Buchhalterin gewesen war, die ihre Pflichten ernst nahm.
»Ich habe nicht das Bedürfnis, dich einzustellen, Rebecca.«
»Du wirst deine gute Meinung über mich sowieso gleich ändern, wenn du den Rest hörst.«
Stephanos schlug die Beine übereinander und lehnte sich zurück. »Ich kann es kaum erwarten, wenn ich ehrlich bin.«
»Meine Tante starb unerwartet vor ungefähr drei Monaten.«
»Das tut mir Leid. Ich weiß, wie es ist, wenn man jemanden verliert, der einem nahe steht.«
»Sie war meine einzige Verwandte.« Rebecca stieß die Balkontüren auf. Gleich darauf erfüllte die laue, würzige Nachtluft den Raum. »Ich konnte anfangs nicht begreifen, dass sie plötzlich nicht mehr da war. Es kam so ohne jede Vorwarnung, weißt du? Aber es blieb mir nichts anderes übrig, trotz meines Kummers alles in die Hand zu nehmen – die Beerdigung, die Regelung der Erbschaftsangelegenheiten. Tante Jeannie war zeitlebens ein ordentlicher und nüchterner Mensch gewesen. So fand ich alles an seinem Platz. Man hat mich übrigens oft mit meiner Tante verglichen.«
Da Stephanos merkte, dass sie noch nicht fertig war, sagte er nichts, sondern sah sie interessiert weiter an.
»Aber schon sehr bald nach ihrem Tod geschah etwas Seltsames mit mir. Eines Tages dachte ich über mein Leben nach und fand es schrecklich langweilig.« Sie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Ich war eine korrekte und fleißige Angestellte, wie meine Tante es gewesen war, besaß etwas Geld und hatte eine Reihe guter Freunde. Ich sah in die Zukunft und wusste, selbst in zehn, zwanzig Jahren würde mein Leben noch immer so aussehen wie heute. Da konnte ich es nicht mehr ertragen.«
Sie drehte sich wieder zu ihm um. Die leichte Brise erfasste den hauchdünnen Stoff des Morgenmantels und wehte ihn um ihre Beine. »Ich
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