Rebecka Martinsson 02 - Weisse Nacht
nicht vorzubereiten. Sondern nur dabei zu sein. Aber nur, wenn sie wolle, natürlich.
Sie hatte sich darauf eingelassen, weil sie nicht glaubte, irgendeine Wahl zu haben. Sie hatte die Kanzlei blamiert, hatte ihr eine Schadensersatzklage beschert und einen Mandanten vergrault. Es war unmöglich, nein zu sagen. Sie stand in der Schuld der Kanzlei, und deshalb lächelte sie.
An den Tagen, an denen sie mit ins Gericht musste, kam sie immerhin aus dem Bett. Normalerweise waren es die Angeklagten, die die ersten Blicke von Jury und Richter auf sich zogen, aber jetzt war Rebecka die große Attraktion im Zirkus. Sie starrte die Tischplatte an und ließ die anderen glotzen. Verbrecher, Geschworene, Staatsanwalt, Richter. Sie konnte ihre Gedanken fast hören: Ach, das ist sie also…
Jetzt hatte sie die Rasenfläche vor dem Herrenhaus erreicht. Hier war das Gras plötzlich grün und frisch. Sicher hatten sie in diesem Dürresommer wie besessen gesprengt. Die letzten Heckenrosen des Jahres sandten einen Duft aus, der der Abendbrise zum Land hin folgte. Die Luft war angenehm warm. Die jüngeren Frauen trugen ärmellose Leinenkleider. Die etwas älteren versteckten ihre Oberarme in dünnen Baumwolljacken von Iblues und Max Mara. Die Männer hatten die Schlipse zu Hause gelassen. Sie liefen in ihren Hosen von Grant mit Drinks für die Damen hin und her. Warfen einen Blick auf die Glutbetten der Grills und plauderten leutselig mit dem Küchenpersonal.
Rebecka hielt in der Menge Ausschau. Keine Maria Taube. Kein Måns Wenngren.
Und da kam einer der Teilhaber auf sie zu, Erik Rydén. Sofort das Lächeln aufgesetzt.
»Ist sie das?«
Petra Wilhelmsson sah Rebecka Martinsson den Weg zum Herrenhaus hochkommen. Petra war neu in der Kanzlei. Sie lehnte am Geländer vor dem Eingang. Auf ihrer einen Seite stand Johan Grill, ebenfalls frisch eingestellt, auf ihrer anderen Krister Ahlberg, Strafrechtsexperte und Mitte dreißig.
»Ja, das ist sie«, bestätigte Krister Ahlberg. »Die kanzleieigene kleine Modesty Blaise.«
Er leerte sein Glas und stellte es mit einem kleinen Knall auf das Geländer. Petra schüttelte langsam den Kopf.
»Dass sie wirklich einen Menschen getötet hat«, sagte sie.
»Drei sogar«, sagte Krister.
»Himmel, da krieg ich doch eine Gänsehaut. Seht nur!«, sagte Petra und hielt ihren Arm hoch.
Krister Ahlberg und Johan Grill musterten ihn aufmerksam. Er war schmal und braun. Überaus feiner Flaum war von der Sommersonne fast weiß gebleicht worden.
»Also, nicht weil sie eine Frau ist«, erklärte Petra, »aber sie sieht nicht aus wie der Typ, der…«
»Das ist sie ja auch nicht. Sie hatte am Ende einen psychischen Zusammenbruch. Und sie schafft die Arbeit nicht. Sitzt manchmal bei den medienwirksamen Verhandlungen mit im Gericht. Und man selbst macht die Arbeit und sitzt im Büro am Telefon parat, falls etwas sein sollte. Sie dagegen ist ein Promi.«
»Ein Promi?«, fragte Johan Grill. »Aber ihr Name ist doch wohl nie genannt worden?«
»Nein, aber unter den Juristen kennen sie doch alle. Das juristische Schweden ist so klein, das wirst du auch bald lernen.«
Krister Ahlberg zeigte mit Daumen und Zeigefinger der rechten Hand einen Zentimeter. Er sah, dass Petras Glas leer war, und spielte mit dem Gedanken, ihr das Nachfüllen anzubieten. Aber dann müsste er Petra mit Johan allein lassen.
»Gott«, sagte Petra, »was mag es wohl für ein Gefühl sein, einen Menschen zu töten?«
»Ich werde euch vorstellen«, sagte Krister. »Wir arbeiten nicht in derselben Abteilung, aber wir haben zusammen einen Kurs für Handelsrecht gemacht. Wir müssen nur warten, bis Erik Rydén sie aus seinen Armen gelassen hat.«
Erik Rydén umarmte Rebecka und hieß sie willkommen. Er war ein untersetzter Mann, der durch seine Gastgeberpflichten leicht ins Schwitzen geriet. Sein Körper dampfte wie ein Ameisenhaufen im August. Ein Dunst aus Chanel Pour Monsieur und Alkohol. Ihre rechte Hand klopfte ihm etliche Male den Rücken.
»Schön, dass du kommen konntest«, sagte er mit seinem allerbreitesten Lächeln.
Er nahm ihre Tasche und gab ihr im Gegenzug ein Glas Sekt und einen Zimmerschlüssel. Rebecka musterte den Schlüsselanhänger. Es war ein weißrotes Stück Holz, das mit einem Seemannsknoten an dem Schlüssel befestigt war.
Wenn die Gäste zu viel intus haben und er ihnen ins Wasser fällt, dachte sie.
Sie wechselten einige Gemeinplätze. Was für schönes Wetter. Für dich bestellt, Rebecka. Sie lachte,
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