Rebecka Martinsson 02 - Weisse Nacht
fragte, wie es laufe. Ja, erst vorige Woche hatte Erik einen großen Mandanten aus der Biotech-Branche an Land gezogen. Und sie wollten eine Fusion mit einer Firma in den USA in die Wege leiten, also hatten sie alle Hände voll zu tun. Sie hörte zu und lächelte. Dann traf noch ein Nachzügler ein, und Erik war wieder mit seinen Gastgeberpflichten beschäftigt.
Ein Kollege aus der Strafrechtsabteilung kam auf sie zu. Er begrüßte sie wie eine alte Bekannte. Sie durchforstete fieberhaft ihr Gedächtnis nach seinem Namen, aber der war wie weggeweht. Er hatte zwei Neueingestellte im Schlepptau, eine Frau und einen Mann. Der Mann hatte eine blonde Mähne, die ein extrem braunes Gesicht umrahmte, wie man es nur vom Segeln bekommt. Er war ein wenig klein geraten und hatte breite Schultern. Viereckiges vorgeschobenes Kinn, und aus dem hochgekrempelten teuren Pullover ragten zwei muskulöse Unterarme heraus.
Wie ein gestylter Popeye, dachte sie.
Die Frau war ebenfalls blond. In ihrer Mähne hatte sie eine teure Sonnenbrille festgesteckt. Lachgrübchen in den Wangen. Eine Jacke, die zu ihrem kurzärmligen Oberteil passte, hing über Popeyes Arm. Sie reichten einander die Hand. Die Frau zwitscherte wie eine Amsel. Sie hieß Petra. Popeye hieß Johan und hatte einen vornehmen Nachnamen, den sich Rebecka aber nicht merken konnte. So war es seit dem vergangenen Jahr bei ihr. Früher hatte sie im Kopf Fächer gehabt, in die sie diese Informationen einsortieren konnte. Jetzt gab es keine Fächer mehr. Alles fiel wild durcheinander, und das meiste fiel daneben. Sie lächelte und drückte die Hände der anderen gerade herzlich genug. Fragte, für wen in der Kanzlei sie arbeiteten. Wie es ihnen gefalle. Was ihre Spezialgebiete seien und wo sie ihr Referendariat gemacht hätten. Niemand stellte ihr irgendeine Frage.
Sie wanderte weiter zwischen den Gruppen umher. Alle hielten den Zollstock in der Tasche bereit. Maßen einander. Verglichen sich mit dem Gegenüber. Gehalt. Wohnung. Name. Wen man kannte. Was man während des Sommers gemacht hatte. Jemand baute ein Haus in Nacka. Ein anderer suchte eine größere Wohnung, jetzt, wo das zweite Kind da war, am liebsten auf der richtigen Seite von Östermalm.
»Ich bin ein Wrack«, rief der Häuslebauer mit glücklichem Lächeln.
Ein frischgebackener Single wandte sich Rebecka zu.
»Im Mai war ich in deiner Heimat«, sagte er. »Bin zwischen Abisko und Kebnekaise Ski gelaufen, man musste um drei Uhr nachts aufstehen, um den Harsch zu nutzen. Tagsüber war der Schnee so weich, dass man einsank. Und dann konnte man nur im Liegestuhl sitzen und die Frühlingssonne genießen.«
Plötzlich war die Stimmung gedrückt. Musste er ihre Heimat erwähnen? Kiruna drängte sich wie ein Gespenst zwischen sie. Alle zählten plötzlich die Namen von tausend anderen Orten auf, die sie besucht hatten. Italien, Toskana, Eltern in Jönköping und Legoland, aber Kiruna wollte nicht verschwinden. Rebecka ging weiter, und alle atmeten erleichtert auf.
Die älteren Juristen waren in ihren Sommerhäusern an der Westküste, in Schonen oder auf den Schäreninseln gewesen. Arne Eklöf hatte seine Mutter verloren und erzählte Rebecka ganz offen, dass er den Sommer mit Erbstreitereien verbracht hatte.
»Ja, Mist«, sagte er. »Wenn Gott der Herr den Tod bringt, bringt der Teufel die Erben. Willst du?«
Er nickte zu ihrem Glas hinüber. Sie lehnte dankend ab. Er sah sie fast wütend an. Als habe sie sich weitere Vertraulichkeiten verbeten. Vermutlich hatte sie das ja auch. Er stapfte zum Tisch mit den Getränken. Rebecka blieb stehen und sah hinter ihm her. Es war anstrengend, mit Leuten zu reden, aber es war ein Albtraum, allein mit einem leeren Glas hier zu stehen. Wie eine armselige Topfblume, die nicht einmal um Wasser bitten kann.
Ich kann auf die Toilette gehen, dachte sie und schaute auf die Uhr. Und da kann ich sieben Minuten bleiben, wenn es keine Schlange gibt. Drei, wenn draußen jemand wartet.
Sie schaute sich nach einer Stelle um, wo sie ihr Glas abstellen konnte. In diesem Moment trat Maria Taube neben sie. Sie hielt ihr eine kleine Schüssel mit Waldorfsalat hin.
»Iss«, sagte sie. »Man kriegt ja Angst, wenn man dich sieht.«
Rebecka nahm den Salat. Die Erinnerungen an das Frühjahr jagten durch ihren Kopf, wenn sie Maria ansah.
Scharfe Frühlingssonne vor Rebeckas verschmutztem Fenster. Aber die hat die Jalousien heruntergelassen. Mitten in der Woche, an einem Werktagsvormittag, kommt
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