Rebecka Martinsson 02 - Weisse Nacht
Maria zu Besuch. Nachher fragt Rebecka sich, wieso sie überhaupt die Tür aufgemacht hat. Sie hätte sich unter ihrer Decke verstecken sollen.
Aber egal. Sie geht zur Wohnungstür. Hat das Klingeln eigentlich kaum registriert. Wie abwesend öffnet sie das Sicherheitsschloss. Dann dreht sie das Schloss mit der linken Hand um, während die Rechte die Klinke nach unten drückt. Ihr Kopf ist ausgeschaltet. Genau wie dann, wenn man sich vor der offenen Kühlschranktür ertappt und sich fragt, was man denn überhaupt in der Küche will.
Später denkt sie, dass vielleicht irgendwo in ihr ein kluges kleines Wesen steckt. Ein Mädchen in roten Gummistiefeln und Schwimmweste. Die einzige Überlebende. Und dass dieses kleine Mädchen die leichten, raschen Absätze erkannt hat.
Das Mädchen sagt zu Rebeckas Händen und Füßen: »Psst, das ist Maria. Sagt ihr nichts. Bringt sie nur zum Aufstehen, und sorgt dafür, dass sie die Tür aufmacht.«
Maria und Rebecka sitzen in der Küche. Sie trinken Kaffee, Gebäck gibt es nicht. Maria sagt nicht viel. Die Stapel aus schmutzigem Geschirr in der Spüle, die Haufen von Post und Reklame und Zeitungen auf dem Dielenboden, die zerknitterten und schmutzigen Kleidungsstücke, die sie am Leib hat, verraten genug.
Und mittendrin fangen Rebeckas Hände an zu zittern. Sie muss die Kaffeetasse auf den Tisch stellen. Ihre Hände flattern ziellos umher wie zwei Hühner ohne Kopf.
»Keinen Kaffee mehr für mich«, versucht sie zu scherzen.
Sie lacht auf, aber das Lachen wird zu einem tonlosen Lärm.
Maria schaut ihr in die Augen. Rebecka bildet sich ein, dass Maria weiß, dass Rebecka manchmal auf dem Balkon steht und auf den harten Asphalt hinunterschaut. Und dass sie manchmal nicht einmal in den Laden gehen kann. Sondern von dem leben muss, was sie in der Wohnung hat. Tee und Essiggurken.
»Ich bin keine Psychologin«, sagt Maria, »aber ich weiß, dass alles schlimmer wird, wenn man nicht isst und schläft. Und du musst dich morgens anziehen und aus dem Haus gehen.«
Rebecka versteckt die Hände unter dem Küchentisch.
»Du meinst wohl, ich bin verrückt geworden.«
»Aber meine Liebe, in meiner Familie wimmelt es nur so von Frauen mit Nervenproblemen. Sie fallen in Ohnmacht, haben panische Angst und sind die totalen Hypochonderinnen. Und meine Tante, hab ich schon mal von der erzählt? Heute sitzt sie in der Psychiatrie und kann sich nicht mal alleine anziehen. Und am nächsten Tag eröffnet sie einen Montessori-Kindergarten. Ich kenn mich da aus.«
Am nächsten Tag bietet ein Sozius, Torsten Karlsson, Rebecka seine Kate an. Maria hat für Torsten in der Abteilung für Handelsrecht gearbeitet, ehe sie zu Rebecka und Måns Wenngren übergewechselt ist.
»Du tust mir einen Gefallen«, sagt Torsten. »Dann brauche ich mir keine Sorgen wegen Einbrechern zu machen und muss nur zum Gießen hinfahren. Eigentlich sollte ich die Bude ja verkaufen. Aber auch das macht so verdammt viele Scherereien.«
Sie hätte natürlich ablehnen müssen. Das lag doch auf der Hand. Aber dieses Mädchen in den roten Gummistiefeln hatte schon ja gesagt, ehe Rebecka auch nur den Mund aufmachen konnte.
BRAV ASS REBECKA ihren Waldorfsalat. Sie fing mit der halben Walnuss an. Kaum hatte sie die im Mund, da wurde sie auch schon so groß wie eine Pflaume. Sie kaute und kaute. Bereitete sich auf das Schlucken vor. Maria musterte sie.
»Wie geht es dir?«, fragte sie.
Rebecka lächelte. Ihre Zunge fühlte sich steif an.
»Ich habe wirklich keine Ahnung.«
»Aber es ist okay, heute Abend hier zu sein?«
Rebecka zuckte mit den Schultern.
Nein, dachte sie. Aber was soll man machen? Man zwingt sich. Sonst sitzt man bald irgendwo in einer Bude, verfolgt von den Behörden, voller Angst vor Menschen, mit Stromallergie und jeder Menge Katzen, die das Haus voll kacken.
»Ich weiß nicht«, sagte sie. »Ich habe das Gefühl, dass die Leute mich anstarren, wenn ich in eine andere Richtung blicke. Sie reden über mich, wenn ich nicht dabei bin. Verstehst du? Und sie scheinen voller Panik ›Tennis, anyone‹ zu fragen, sowie ich mich nähere.«
»So ist das eben«, lachte Maria. »Du bist doch die kanzleieigene Modesty Blaise. Und jetzt haust du draußen in Torstens Kate und wirst immer isolierter und verschrobener. Natürlich reden sie über dich.«
Rebecka lachte.
»Danke, jetzt fühle ich mich gleich besser.«
»Ich habe gesehen, dass du mit Johan Grill und Petra Wilhelmsson geredet hast. Was hältst du von der
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