Rebecka Martinsson 03 - Der schwarze Steg
Abend die Umgebung befragen. Touristenstation und Ost-Abisko. Wir erkundigen uns auch im Laden, ob sie da bekannt ist. Und eigentlich müsste doch irgendwer sie vermisst melden, finde ich.«
»Mir kommt sie irgendwie bekannt vor«, sagte Sven-Erik nachdenklich.
Anna-Maria nickte.
»Vielleicht ist sie aus Kiruna. Muss überlegen. Vielleicht haben wir sie da gesehen. Zahnärztin? Verkäuferin in irgendeinem Laden? Bank?«
Sven-Erik schüttelte den Kopf.
»Hör auf«, sagte er. »Es wird uns schon einfallen.«
»Wir müssen auch zwischen den Archen nachsehen«, sagte Anna-Maria.
»Ja, und das bei diesem Scheißsturm!«
»Trotzdem.«
»Ja.«
Sie musterten einander eine Weile lang.
Sven-Erik wirkte müde, fand Anna-Maria. Müde und niedergeschlagen. Das war er oft angesichts von toten Frauen. In der Regel handelte es sich ja um tragische Todesfälle. Sie lagen erschlagen in der Küche, der Mann saß in Tränen aufgelöst im Nebenzimmer, und man musste froh sein, wenn es keine kleinen Kinder gab, die alles mit angesehen hatten.
Sie selbst fühlte sich nie so unangenehm berührt, doch, natürlich, wenn es um Kinder ging. Kinder und Tiere, daran würde sie sich nie gewöhnen. Aber ein Mord wie dieser. Nicht, dass er sie in gute Laune versetzte. Oder dass sie es gut fand, dass irgendwer umgebracht worden war, so war das nicht. Aber ein Mord wie dieser … Der brachte doch sozusagen etwas zu beißen. Und das konnte sie brauchen.
Sie lächelte in Gedanken über Sven-Eriks nassen Schnurrbart. Der sah aus wie etwas, das überfahren und am Straßenrand liegen gelassen worden ist. In letzter Zeit wucherte er ganz schön. Sie fragte sich, wie einsam Sven-Erik wirklich war. Seine Tochter wohnte mit ihrer Familie in Luleå. Sie sahen sich wohl nicht sehr oft.
Und vor anderthalb Jahren war ja sein Kater verschwunden. Anna-Maria wollte ihn überreden, sich einen neuen zuzulegen, aber Sven-Erik weigerte sich. »Das macht nur Ärger«, sagte er. »Und man ist so gebunden.« Sie wusste natürlich, was das bedeutete. Er wollte sich neuen Kummer ersparen. Himmel, was hatte er sich wegen Manne Sorgen gemacht und den Kopf zerbrochen, ehe er endlich die Hoffnung aufgegeben und nicht mehr über ihn gesprochen hatte.
Und das fand Anna-Maria so schade. Sven-Erik war ein feiner Bursche. Er würde für irgendeine Frau einen guten Mann abgeben. Und ein gutes Herrchen für jegliches Tier. Er und Anna-Maria verstanden sich gut miteinander, aber sie würden nie auf die Idee kommen, auch ihre Freizeit zusammen zu verbringen. Das lag nicht nur daran, dass er viel älter war. Sie hatten ganz einfach nicht so viele Gemeinsamkeiten. Wenn sie sich außer Dienst in der Stadt oder im Laden begegneten, fehlte es immer an Gesprächsstoff. Bei der Arbeit dagegen konnten sie plaudern und sich zusammen einfach wohlfühlen.
Sven-Erik sah Anna-Maria an. Sie war wirklich eine kleine Frau, gerade mal eins fünfzig, sie verschwand fast in ihrem voluminösen Schneemobilanzug. Ihre langen blonden Haare waren von der Mütze platt gedrückt. Nicht, dass sie das interessiert hätte. Sie hatte keinen Sinn für Schminke und solche Dinge. Hatte wohl auch keine Zeit. Vier Kinder und ein Mann, der zu Hause offenbar nicht oft mit anpackte. Ansonsten war wohl nicht viel an Robert auszusetzen, Anna-Maria und er schienen sich gut zu verstehen, nur war er so träge.
Obwohl, wie viel hatte er denn selbst zu Hause gemacht, als er noch mit Hjördis verheiratet gewesen war? Er konnte sich nur vage daran erinnern, aber er wusste noch, wie ungewohnt ihm das Kochen vorgekommen war, als er dann allein lebte.
»Also«, sagte Anna-Maria. »Sollen wir beiden uns anbieten, im Schneesturm zwischen den Archen herumzukriechen? Dann können die anderen sich Dorf und Touristenstation vornehmen.«
Sven-Erik grinste.
»Spielt ja eigentlich keine Rolle, der Samstagabend ist ohnehin ruiniert.«
Was aber im Grunde nicht stimmte. Was hätte er denn sonst gemacht? Ferngesehen und vielleicht mit dem Nachbarn in der Sauna gesessen. Immer das Gleiche.
»Ja«, antwortete Anna-Maria und zog den Reißverschluss ihres Schneemobilanzugs hoch.
Aber es kam nicht von Herzen. Das hier war durchaus kein ruinierter Samstagabend. Ein Ritter kann einfach nicht zu Hause im Schoße der Familie herumlungern, das macht ihn verrückt. Er muss losziehen und sein Schwert schwenken. Um dann heimzukehren, erschöpft und der Abenteuer satt, zur Familie, die bestimmt die leeren Pizzakartons und die
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