Rebecka Martinsson 04 - Bis dein Zorn sich legt
mit ihr gesprochen. Er sah, wie ihr Blick rasch zu dem Fingerhut aus toter Haut wanderte, den er sich über den Zeigefinger geschoben hatte.
Sie stellte sich vor und rief ihm ihre frühere Begegnung ins Gedächtnis. Er sagte, dass er sich daran erinnern könne, und fragte, was sie wolle.
»Ist das da Wilma Persson?«, fragte sie.
»Ja, ich nehme gerade ihre Fingerabdrücke. Man muss jetzt ganz schnell mit ihr arbeiten. Sie verändern sich so rasch, wenn man sie erst aus dem Wasser geholt hat.«
»Ich wollte nur wissen, ob man feststellen kann, ob sie wirklich dort gestorben ist, wo sie gefunden wurde.«
»Warum möchten Sie das wissen?«
Sie schien tief Atem zu holen. Er sah, wie sie den Mund zusammenkniff, über ihre eigenen Gedanken den Kopf schüttelte, ihn ansah, als wolle sie um Geduld flehen.
»Ich habe von ihr geträumt«, sagte sie nach kurzem Zögern. »Und zwar, dass sie gesagt hat, sie sei transportiert worden. Dass sie anderswo gestorben ist.«
Er sah sie lange schweigend an. Nur seine kurzen Atemzüge und der Ventilator waren zu hören.
»Soviel ich gehört habe, ist sie ertrunken. Möchte die Staatsanwaltschaft eine größere Untersuchung anordnen?«
»Nein, ich …«
»Gibt es etwas, das ich wissen müsste? Wie zum Teufel soll ich meine Arbeit machen, wenn ich nichts erfahre? Wenn ihr sagt, dass kein Verdacht auf ein Verbrechen vorliegt, dann gehe ich davon aus, wenn ich meine Untersuchung durchführe. Ich will mir nicht später sagen lassen müssen, dass ich etwas ausgelassen habe. Verstehen Sie?«
»Ich bin nicht hier, um …«
»Ihr rennt mir die ganze Zeit die Bude ein, aber …«
Sie hob beide Hände.
»Vergessen Sie’s«, sagte sie. »Hören Sie gar nicht erst auf mich. Ich hätte nicht kommen dürfen. Ich bin doch nicht ganz gescheit.«
»Nein, das habe ich auch schon gehört«, sagte Pohjanen gehässig.
Sie machte auf dem Absatz kehrt und verschwand. Seine Bemerkung blieb in der Luft hängen. Läutete im Obduktionssaal wie eine Kirchturmglocke.
»Soll sich doch zum Teufel scheren, statt mir hier die Bude einzurennen«, versuchte Lars Pohjanen sich zu rechtfertigen.
Sein schlechtes Gewissen wegen seiner bösen Bemerkung machte ihm zu schaffen. Die Toten, die ihn umgaben, waren ungewöhnlich schweigsam.
»Sollen sich doch allesamt zum Teufel scheren!«, grummelte er.
EINE WOCHE VERGEHT. Im Wald fällt der Schnee von den Bäumen. Sackt in der Sonnenwärme mit tiefen Seufzern in sich zusammen. Kahle Stellen tauchen auf. Die Südseiten der Ameisenhügel werden von der Sonne gewärmt. Die Schneeammern kehren zurück. Rebeckas Nachbar Sivving sieht draußen im Wald Bärenspuren. Der Winterschlaf ist zu Ende.
»Haben sie den Jungen schon gefunden?«, fragt Sivving Rebecka.
Es ist Abend, und Rebecka hat Sivving und Bella zum Essen eingeladen. Sie hat Sushi gemacht, und Sivving kaut mit misstrauischer Miene. Er spricht Sushi mit einem tsch-Laut aus, wie bei einem Niesen: Hatschi. Bella hat sich auf das Sofa im Schlafalkoven gelegt und es sich auf dem Rücken gemütlich gemacht. Ihre Hinterbeine sind zur Seite heruntergefallen. Die Vorderpfoten zucken ein wenig.
Rebecka sagt, das sei nicht der Fall.
»Piilijärvi«, sagt Sivving, »das ist der letzte Ort, wo ich freiwillig wohnen würde. Da leben doch die Brüder Krekula. – Krekulas Fuhrunternehmen«, verdeutlicht er, als Rebecka nicht direkt weiß, von wem oder was er hier redet. »Tore und Hjalmar Krekula, sie sind im Alter meines kleinen Bruders. Richtige Gaunergestalten. Uäääh. Ihr Vater hat das Fuhrunternehmen gegründet und war in seinen guten Zeiten vom gleichen Kaliber. Er muss jetzt an die neunzig sein. Der ältere, Hjalmar, ist besonders schlimm. Mehrmals wegen Körperverletzung bestraft. Und dabei gibt es viele, die nicht wagen würden, eine Anzeige gegen ihn einzureichen. Und als sie klein waren. Das war ja auch so eine Geschichte. Davon musst du doch gehört haben. Über die Brüder Krekula? Nicht? Natürlich, das war ja lange vor deiner Zeit. Hjalmar war noch keine zehn, und sein Bruder, der kann damals so sechs oder sieben gewesen sein. Sie waren also im Wald unterwegs. Sollten die Kühe auf die Sommerweide treiben. Eigentlich gar nicht weit. Aber Hjalmar, der hat seinen kleinen Bruder einfach im Wald gelassen. Kam ohne ihn zurück auf den Hof. Und da mussten doch der Bergrettungsdienst und das Militär und die Polizei eingesetzt werden. Aber gefunden haben sie ihn nicht. Eine Woche war vergangen. Als sie die
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