Rebecka Martinsson 04 - Bis dein Zorn sich legt
vertraute Welle durch seinen Körper schwappte.
»Ich bin’s«, sagte Anna-Maria Mella mit eifriger Stimme.
Er hielt das Telefon ein Stück von sich weg und starrte aus zusammengekniffenen Augen das Display an. Zwanzig nach sieben.
Anna-Maria war ein Morgenmensch. Er selbst ein Abendmensch. Sie hatten immer die stumme Übereinkunft gehabt, dass sie einander anrufen und sich gegenseitig wecken durften. Sven-Erik konnte nachts um eins auf eine Idee kommen und Anna-Maria anrufen. Anna-Maria konnte um acht Uhr anrufen und schon mit dem Auto unterwegs sein, um ihn abzuholen. Aber das war einmal.
Früher, vor Regla, hätte Sven-Erik gesagt: »Schon auf?«, und Anna-Maria hätte so ungefähr geantwortet, dass sie Gustav ja schließlich von Montag bis Freitag aus dem Bett ziehen und in den Kindergarten schleifen musste, aber dass er an Wochenenden in aller Herrgottsfrühe auf ihrem Kopf herumsprang, damit sie den Kinderkanal einschaltete.
»Entschuldige, dass ich so früh anrufe«, sagte Anna-Maria.
Sie bereute diesen Anruf, es war ihr auf die Schnelle einfach so passiert. Aber es war ja nichts mehr wie früher.
Sven-Erik hörte die Veränderung in ihrer Stimme, und ihn durchfuhr eine Mischung aus Verlustgefühl und schlechtem Gewissen.
Dann wurde er wütend. Es war ja nicht seine Schuld, dass alles so gekommen war.
»Pohjanen hat mich gestern Abend spät angerufen«, sagte sie, wie um zu betonen, dass sie nicht die Einzige war, die Kollegen zu den seltsamsten Zeitpunkten störte.
Neben Sven-Erik im Bett schlug Airi Bylund die Augen auf. »Kaffee?«, formte sie mit den Lippen. Er nickte. Sie stand auf und zog ihren roten Frotteebademantel an. Der Kater Boxer, der auf Sven-Eriks Beinen geschlafen hatte, sprang eilig aus dem Bett und versuchte, den Gürtel des Bademantels zu fangen, der unwiderstehlich lockend vor ihm hin- und herpendelte, bis Airi ihn sich um die Taille band.
»Er hatte Wasserproben aus Wilma Perssons Lunge und aus dem Wasser genommen, und sie ist nicht im Fluss gestorben«, sagte Anna-Maria jetzt.
»Ach.«
»Und du fandest die Sache mit dem Benzin im Auto doch auch seltsam. Warum in die Wildnis fahren, ohne genug Sprit, um wieder nach Hause zu kommen? Und jetzt das hier. Sie ist nicht im Fluss gestorben. Wie ist sie dort gelandet?«
»Sag’s mir.«
Sie schwiegen eine Weile. Endlich sagte sie: »Ich habe jedenfalls vor, heute nach Piilijärvi zu fahren und zu fragen, ob irgendwer dort weiß, wo die beiden tauchen wollten.«
Jetzt hatte er seine Gelegenheit. Jetzt könnte er sagen, dass er mitkommen wollte.
»Ist das nicht schon gemacht worden, als sie verschwunden sind?«, fragte er nur.
»Doch, da sind wohl die nächsten Angehörigen befragt worden. Aber jetzt hat sich die Lage zugespitzt. Jetzt will ich alle fragen.«
»Ach so. Na, dann viel Glück.«
Die Stille zwischen ihnen bebte nur so vor Enttäuschung und Vorwürfen.
»Danke«, sagte sie und beendete das Gespräch.
Airi kam mit einem Tablett mit Kaffee und belegten Broten herein.
»Und?«, fragte sie.
»Anna-Maria«, sagte Sven-Erik. »Sie ruft an und weckt einen am Samstagmorgen und glaubt, man wird alles stehen und liegen lassen und mitkommen. Das kann sie vergessen.«
Airi sagte nichts. Reichte ihm die Kaffeetasse.
»Sie ist so verdammt rücksichtslos«, sagte er.
»Weißt du«, sagte Airi und setzte sich auf die Bettkante, »wie oft ich das im letzten Jahr von dir gehört habe? Aber ich finde, rücksichtslos, das ist man, wenn man sich die Sache überlegt und dann den falschen Schritt macht. Damals in Regla, da hat sie nur … da ist das einfach passiert!«
»Sie überlegt nicht.«
»Kann schon sein. Aber so ist sie eben veranlagt. Impulsiv und schnell entschlossen. Ich liebe dich, mein Guter, aber es wäre doch nur traurig, wenn zwei Menschen genau gleich wären. Ich versuche nur zu sagen, dass sie damals nicht überlegt und sich gefragt hat: Soll ich mich und Sven-Erik wohl in Lebensgefahr bringen?«
Sven-Erik setzte sich auf. Zog sich seine Hose an. Verscheuchte gereizt Boxer, als der plötzlich zum Angriff übergehen wollte.
»Na gut«, sagte er. »Heute ist offenbar richtiges Tauwetter. Da muss ich nach Hause fahren und mich davon überzeugen, dass kein Schnee mehr auf dem Dach liegt. Sonst wird der so schwer und feucht.«
»Ich weiß«, seufzte Airi Boxer zu, als Sven-Erik verschwunden war. »Was man auch sagt, es hilft ja doch nichts.«
Morgensonne und rosa Wolken über den Baumwipfeln. Anna-Maria sah
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