Rebecka Martinsson 04 - Bis dein Zorn sich legt
sprang umher und bellte heiser. Ein typischer Hund, der bei der ersten besten Gelegenheit weglief. Hjalmar hatte ihn nicht aus dem Zwinger gelassen. Denn sonst wäre er inzwischen Kilometer weit fort gewesen. Außerdem war der Schnee um den Hundezwinger absolut frei von Hundespuren.
»Mutters Telefon funktioniert nicht«, sagte Tore. »Steigen Sie doch einfach in den roten Volvo. Hjalle und ich müssen ohnehin in die Stadt. Sie können mit uns fahren.«
Die sind doch verrückt, dachte sie.
Allerlei Bilder tauchten in ihrem Kopf auf. Hjalmar reißt die Beifahrertür auf und zerrt sie aus dem Wagen. Tore ist auf einen Waldweg gefahren. Hjalmar packt ihre Haare und schlägt ihren Kopf gegen einen Baum. Hjalmar hält ihre Arme fest, während Tore sie vergewaltigt.
Ich setze mich nicht mit denen in ein Auto, dachte sie. Lieber gehe ich zu Fuß in die Stadt.
»Das findet sich schon«, sagte sie. »Ich komme mit einigen Kollegen zurück und hole das Auto.«
Sie machte auf dem Absatz kehrt und marschierte davon. Ging die Dorfstraße entlang, den Blick starr auf Anni Autios Haus geheftet. Auf halbem Weg fuhren Tore und Hjalmar im Auto unterwegs in die Stadt an ihr vorbei. Sie rechnete damit, dass die beiden anhalten und dass Tore ein weiteres Mal fragen würde, ob sie mit ihnen fahren wollte, aber die beiden brausten an ihr vorbei, ohne ihr Tempo auch nur zu drosseln. Sie gab sich alle Mühe, ohne Eile zu gehen.
Ich kann bei Anni telefonieren, dachte sie.
Dann fiel ihr ein, dass sie versprochen hatte, zurückzukommen und Anni die Treppe hinunterzuhelfen.
Meine Güte, dachte sie. Das hatte ich ja total vergessen.
Anni schlief oben in Wilmas Zimmer. Sie hatte die Decke über sich gezogen. Als Anna-Maria sich auf die Bettkante setzte, schlug sie die Augen auf.
»Schon zurück?«, fragte sie. »Möchtest du Kaffee?«
»Ich sterbe, wenn ich noch eine einzige Tasse Kaffee trinke«, sagte Anna-Maria mit schiefem Grinsen. »Kann ich mal telefonieren?«
Anni blieb liegen, aber ihr Blick war plötzlich sehr wach und forschend.
»Was ist passiert?«, fragte sie.
»Nichts«, log Anna-Maria. »Mein Auto will nicht anspringen.«
Sie konnte Robert nicht erreichen. Sicher tollte er mit den Kindern im Schnee herum. Sven-Erik anzurufen war einfach ausgeschlossen. Und die anderen Kollegen gingen auch nicht.
Es ist Samstag, dachte sie. Die haben frei. Ich habe mich selbst in diese Situation gebracht. Das Letzte, was ich brauche, ist, dass sie noch eine Geschichte darüber kriegen, wie unüberlegt ich handle.
Am Ende wählte sie Rebecka Martinssons Nummer. Rebecka meldete sich beim zweiten Klingelton.
»Ich erklär das später«, sagte Anna-Maria und schielte zu Anni hinüber, die in der Küche stand und Dickmilch und Brot auf den Tisch stellte. »Kannst du mich holen kommen? Ich finde es schrecklich, dich darum bitten zu müssen.«
»Ich fahre sofort los«, sagte Rebecka, ohne irgendwelche Fragen zu stellen.
Rebecka Martinsson fuhr vierzig Minuten später auf Anni Autios Hofplatz.
Anna-Maria wartete vor dem Haus. Schlug die Tür mit einem Knall zu, als sie eingestiegen war.
»Fahr los«, sagte sie nur.
Als der Ort hinter ihnen lag, brach die ganze Geschichte aus ihr heraus.
»Diese Mistkerle«, sagte sie und begann zu heulen. »O verdammt, was für miese Typen.«
Rebecka schwieg und hielt den Blick auf die Straße gerichtet.
»Und sie haben es genau gewusst«, schniefte Anna-Maria. »Ich kann rein gar nichts beweisen. Nicht, dass Hjalmar die Reifen aufgeschlitzt hat, nicht, dass sie mein Telefon geklaut haben.«
Die Scham brannte in ihr. Sie hatte sich ins Bockshorn jagen lassen. Tore hatte sich bestimmt gefühlt wie eine satte Ratte auf einer Müllkippe, als er ihr angeboten hatte, sie in die Stadt zu bringen, und als sie abgelehnt hatte.
»Er hat es genossen«, sagte sie zu Rebecka.
Ich hätte Krach schlagen müssen, dachte sie. Ich hätte einen Höllenlärm veranstalten und schreien und ihnen drohen müssen. Ich hätte darauf bestehen sollen, dass sie mich in die Stadt fuhren. Stattdessen war ich ein kleines verängstigtes Häufchen Elend.
»Denen mach ich die Hölle heiß«, rief sie und schlug mit der Faust gegen das Handschuhfach. »Ich werde jede eingestellte Voruntersuchung wieder aufnehmen, jede fallen gelassene Klage, in der diese Brüder auftauchen. Du wirst Anklage gegen sie erheben. Sie werden es noch bereuen, dass sie sich mit mir angelegt haben.«
»Das wirst du durchaus nicht«, sagte Rebecka
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