Rebecka Martinsson 05 - Denn die Gier wird euch verderben
natürlich nicht. Nur ein winziger Tropfen. Aber trotzdem. Ich geb’s auf. Ich wollte einen Rock anziehen, wo deine Schwestern immer so schick sind, aber jetzt nehme ich Hose und Windel.«
»Liebling. Komm mal her, dann sehe ich nach.«
»Du! Wenn du mich jetzt anfasst, greife ich zur Dienstwaffe.«
Sie stand auf, fischte in dreißig Sekunden Baumwollunterhose und Frotteesocken aus der Schublade, zog beides zu einer Jeans an.
Mir doch egal, dachte sie. Mit denen kann ich es ja doch nicht aufnehmen.
Sie schaute in Gustavs Zimmer. Er machte im Bett einen Handstand.
»Aber jetzt zieh dich doch an! Ich will dir das nicht dauernd sagen müssen. Zieh dich an, zieh dich an, zieh dich an. Wie oft soll ich noch …«
»Aber nur noch einmal, ich muss in der Schule doch besser sein als Lovisa, wir machen nämlich Handstand-Wettkampf, und sie will das immer wieder machen, weil ich immer gewinne. Sie sagt, ihr Rekord ist dreizehn Sekunden. Ach, das ist so schwer im Bett, weil es so weich ist. Nimm Decke und Kissen weg, Mama, hörst du? Nimm das weg …«
»Hier, zieh den Pullover an, sonst werde ich böse.«
Anna-Maria raffte ihren Sohn an sich und zog ihm den Pullover über den Kopf. Den hätte sie bügeln müssen. Gustav hatte außerdem zu lange Haare, darauf würde Roberts Mutter sie ansprechen. Unter dem Pulli wurde ununterbrochen weitergeplappert.
»Aber Mama, du glaubst doch sicher nicht, dass Lovisas Rekord bei dreizehn Sekunden liegt, wo sie in der Schule nicht mal drei Sekunden schafft. Und, Mama. Weißt du was? Hast du meinen Wunschzettel gesehen?«
»Tausendmal. Und es ist noch längst nicht Heiligabend. Zieh die Strümpfe an!«
»Aber den neuen hast du noch nicht gesehen! Ich hab gestern noch ganz viele Sachen draufgeschrieben. Und alles kriegt man bei Ellos Punkt com. Aber nicht meine Legoliste. Ich hab auch eine Legoliste. Uäh, meine Augenbrauen. Au!«
»Entschuldige!«
Der Kopf des Jungen kam aus dem Pullover zum Vorschein. Sie half ihm auch, die Armlöcher zu finden.
»Es gibt so viele Legoteile, die ich mir wünsche. Zum Beispiel …«
»Hier! Auf meinem Wunschzettel steht, dass du Unterhose und Strümpfe anziehst.«
»Was?! Mehr willst du nicht zu Weihnachten? Na, von mir aus. Aber Mama. Ich möchte noch immer nach Ullared fahren. Linus aus meiner Klasse war schon da, und man kann da so viel kaufen. Weißt du außerdem, wie viele Verkehrsschilder ich jetzt kann? Vielleicht hundert. Zum Beispiel ein rundes blaues mit einem Pfeil nach da. Das ist so babyleicht. Ich hab es sofort kapiert. Da brauchte ich nicht mal Papa oder dich zu fragen. Es bedeutet, dass man dahin fahren soll, also dahin, wohin der Pfeil zeigt. Und wenn die Pfeile in einem runden Kreis sind. Weißt du, was das verdeutet?«
»Hose an. Sofort!«
»Ja, mach ich ja schon. Das verdeutet Kreisverkehr.«
»Bedeutet, heißt das«, sagte Petter, der auf dem Weg zur Küche am Zimmer seines kleinen Bruders vorbeikam.
Anna-Maria zog Gustav die Hose an und führte ihn ab in die Küche, während er sich über allerlei Verkehrsschilder und Lektionen im Schwertkampf verbreitete, die Link von Oshus erteilt bekommt, wenn er die Höhle verlässt. Sie setzte ihn vor Dickmilch mit Müsli und Butterbroten ab und schnitt hinter seinem Rücken eine Jetzt-musst-du-übernehmen-ehe-ich-mich-versündige-Grimasse für ihren Mann. Robert saß schon am Frühstückstisch und studierte mit äußerster Konzentration das Anzeigenblatt der Woche.
Ihre sechzehn Jahre alte Tochter Jenny war in ihr Physikbuch vertieft. Anna-Maria hatte längst die Hoffnung aufgegeben, Jenny bei den Hausaufgaben helfen zu können. Der Todesstoß war eine Klausur in Euklidscher Geometrie gewesen.
Der elfjährige Petter schaute mit hilfloser Miene in seinen Dickmilchteller.
»Ich hab keinen Löffel«, klagte er.
»Aber vielleicht hast du Beine?«, fragte Anna-Maria, goss sich Kaffee in einen Becher und ließ sich auf einen Stuhl fallen.
»Mama, weißt du was?«, begann Gustav, der ganze fünf Sekunden lang den Mund gehalten hatte, nachdem Anna-Maria ihm einen Löffel Dickmilch hineingestopft hatte.
»Kann irgendwer ihn zum Schweigen bringen«, fauchte Jenny. »Ich muss büffeln. Ich hab morgen die Klausur.«
»Schweig du doch«, sagte Gustav empört. »Du hast mich unterbrochen.«
»Ich verbiete dir, mit mir zu sprechen«, sagte Jenny und hielt sich die Ohren zu.
»Wenn ich zu Weihnachten ein Lego Mummeleo Falko kriege, bin ich einen ganzen Monat lang still. Mama, krieg
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