Rebecka Martinsson 05 - Denn die Gier wird euch verderben
dieser Ermittlung aus.«
Anna-Maria starrte ihn ungläubig an.
»Ich mein’s ernst«, sagte er und hielt ihrem Blick stand. »Eine Polizistin, die den Leiter der Voruntersuchung nicht informiert, hat schwerwiegende Probleme mit der Zusammenarbeit. Und ich schwöre dir, in dem Fall sorge ich dafür, dass du zur Verkehrspolizei versetzt wirst. Der Bezirkspolizeichef benutzt meine Wohnung in Riksgränsen.«
Er sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. Wie würde sie das aufnehmen?
»Aber er konnte uns noch nichts sagen«, sagte Anna-Maria.
Ihre Wangen hatten sich rosa gefärbt.
»Vermutlich ist sie mit einer Heugabel erstochen worden. Der Tod ist rasch eingetreten, wahnsinnig viele Stiche. Oder Wunden. Wie immer man das nennen soll.«
»Gut«, sagte von Post und klopfte ihr auf die Schulter. »Dann mal los. Zeit für die Pressekonferenz.«
» G IBT ES HIER immer so viel Schnee?«
Die Lehrerin Elina Pettersson betrachtet Kiruna vom Kutschbock aus. Sie sitzt allein da oben, denn der Kutscherjunge ist vom Schlitten gesprungen und führt die vor Anstrengung dampfenden Pferde.
»Nein«, sagt er. »Wir haben zwar immer viel Schnee, aber jetzt war drei Tage lang Schneesturm. Heute Morgen ist das Wetter dann plötzlich umgeschlagen, und seither ist es warm und still. Das können Sie sich auch gleich merken. So sind die Berge. Das Wetter kann sich jederzeit ändern. Voriges Jahr zu Mittsommer sind wir jungen Leute zum Tanzen nach Jukkas gefahren. Es war richtig schön warm. Die Bäume wurden gerade grün. Und gegen acht Uhr abends fing es dann an zu schneien.«
Er lacht bei dieser Erinnerung.
Der Schnee liegt wie eine dicke Daunendecke über dem Ort. Die Häuser tragen lange weiße Röcke. Der Schnee reicht weit die Wände hoch. Auf den Dächern schaufeln kleine Jungen, als gälte es ihr Leben. Sie arbeiten mit bloßem Oberkörper und in groben Winterschuhen.
»Sonst stürzt das Dach ein, jetzt, wo es taut«, erklärt der Kutscherjunge.
Die Straßenlaternen tragen russische Mützen, der Erzberg ist in weichen Schnee gehüllt und könnte jeder beliebige Berg sein. Die Zweige der Birken werden unter ihrer Last zu Boden gedrückt und bilden Märchentore, die im strahlenden Sonnenschein glitzern. Sie ist wie geblendet, sogar aus zusammengekniffenen Augen fällt ihr das Sehen schwer. Sie hat gehört, dass man schneeblind werden kann. Ob das hier damit gemeint ist?
»Sie sollen in der Schule warten«, sagt der Kutscherjunge. »Dann werden Sie abgeholt. Ich lasse Ihre Sachen auf dem Schlitten. Bringe die nachher zu Ihrer Wohnung.«
Und dann sitzt sie allein im Schulzimmer. Es ist Sonntag, und alles ist wie verlassen. Eine seltsame Stille. In den Sonnenstrahlen, die zum Fenster hereinfallen, tanzt ein dünner Staubfaden nach oben.
Es gibt eine Tafel, hervorragend, und viele Schaubilder, biblische Motive, Landkarten, Bilder von Pflanzen und Tieren. Schon kann sie hören, wie sie die spannendsten Geschichten aus dem Alten Testament erzählt, David und Goliath natürlich, Moses im Binsenkörbchen, die mutige Königin Esther. Sie fragt sich, wie viele von diesen Tieren und Pflanzen es hier im hohen Norden wohl gibt. Die Kinder werden natürlich Pflanzen pressen und die eigene Flora und Fauna lernen. Es gibt eine Tretorgel, und an der Wand hängt eine Gitarre.
Sie fragt sich, wie lange sie noch warten muss, denn sie hat jetzt einen Bärenhunger. Seit sie die letzten Butterbrote von ihrem Reiseproviant verzehrt hat, hat sie nichts mehr zu sich genommen. Und das war am Vortag gegen zwei Uhr. Fast vierundzwanzig Stunden ist das her.
Sie hört die Eingangstür, und sie hört, wie jemand sich auf dem Gang draußen den Schnee von den Stiefeln tritt. Dann wird die Tür zum Klassenzimmer geöffnet, und eine Frau in ihrem eigenen Alter kommt herein. Nein, sie ist sicher noch jünger, wie Elina jetzt sieht. Auf den ersten Blick hat sie sich vom Anblick des rundlichen Körpers, des drallen Busens und Hinterteils täuschen lassen. Noch ist es kleidsamer Babyspeck, doch bald wird dieses Mädchen hier eine stämmige Matrone sein. Aber hübsch ist sie wirklich. Elina denkt, dass sie sich ein wenig ähnlich sehen, mit ihren Stupsnasen und den runden Wangen. Nur dass die Frau hier vor ihr dunkle Haare hat. Ihre braunen Augen schauen neugierig und erwartungsvoll. Sie sieht Elina an, als erwarte sie von der eine freudige Mitteilung.
»Fräulein Elina Pettersson?«
Sie hält ihr die Hand hin, die leicht gerötet und trocken ist. Raue Haut
Weitere Kostenlose Bücher