Rebecka Martinsson 05 - Denn die Gier wird euch verderben
zusammengezogen.
Wenn er sich vom Fleck weg in sie verliebt, ihr hartnäckig den Hof gemacht hätte, dann müsste sie vielleicht nicht jede einzelne Minute an ihn denken. Kerle, denkt sie wütend. Von denen gehen doch dreizehn aufs Dutzend! Und dann steht er fast zwei Wochen nach ihrem Bücherabend in der Tür zum Klassenzimmer. Die Schüler sind schon nach Hause gegangen, und sie ist ehrlich überrascht bei seinem Anblick.
»Sieh einer an, der Herr Direktor«, ruft sie und zaubert ein kleines Lächeln auf ihr Gesicht.
Ein Lächeln, das genau passt für einen Oberlehrer, einen Vorsitzenden des Schulvorstandes, einen Rektor oder einen Bergwerksdirektor.
Aber danach schweigt sie, denn ihr Herz nimmt in ihrer Brust Anlauf, auch wenn sie es streng ermahnt, sich ruhig zu verhalten.
Er hält ein viereckiges, in Packpapier eingeschlagenes Paket unter dem Arm.
»Ich habe ein Geschenk für Sie«, sagt er und reicht ihr das Paket.
»Danke«, sagt sie.
Und dann pfeift sie auf die gespielte Gleichgültigkeit. Bindet ihr Herz los und lässt es laufen. Sie zwinkert ihm hemmungslos zu.
»Aber ist es auch wirklich ungefährlich, das hier zu öffnen?«
»Ich würde energisch davon abraten«, sagt er und erwidert ihr Lächeln wie ein Lausbub. »Aber vielleicht möchten Sie bei mir zu Hause ein Glas Portwein trinken und das Paket in Ruhe und Frieden aufmachen.«
Das möchte sie, und sie wandern Seite an Seite in das Wohngebiet hinunter. Immer wenn sie einander versehentlich berühren, zittert sie. Es ist fast nicht zu ertragen.
Der Direktor bewohnt ein einfaches Blockhaus mit einem ziemlich neuen Anbau.
»Für den Anfang war es ein wenig zu bescheiden«, sagt er. »Aber so wollte ich das. Es sollte zur Natur hier passen. Und zu den Arbeiterwohnungen.«
Und das weiß sie ja schon. Diese Anspruchslosigkeit. Davon hat sie in Kiruna schon gehört. Dass der Direktor in einer roten Arbeiterbluse herumläuft und für Gott weiß wen gehalten werden kann, wenn die feinen Herren in die Stadt kommen. Und dass er sich mit Samen trifft und in den Kaffeestuben mit den Leuten redet. Und sie hat gehört, dass er ein großes Herz hat. Aber sie weiß auch, dass sein Haus an den Hof von Anders Zorn und an Carl Larssons Sundborn erinnert. Denn beide Maler haben ihn bei dem Anbau beraten.
So weit ging das dann doch nicht mit der Bescheidenheit, denkt sie.
Er ist schon ein Snob, auch wenn ihm das Äußere unwichtig zu sein scheint. Aber sie will ihn gar nicht anders haben. Diese Charakterschwäche macht ihn nur menschlich, erfüllt sie mit Zärtlichkeit. Wer liebt schon das Perfekte? Nein, die Liebe will Fürsorge, und die Fürsorge verlangt nach Schwächen bei dem geliebten Menschen, nach Wunden, Verletzlichkeit. Die Liebe will heilen. Das Perfekte braucht nicht geheilt zu werden. Das Perfekte kann man nicht lieben, man kann es nur verehren.
Er bittet sie in sein Arbeitszimmer. Dort knistert im Kamin ein Feuer, und auf einem Tablett liegt etwas Aufschnitt, geräuchertes Rentierfleisch und Schneehuhnbrust. Es ist ein seltsamer Gedanke, dass ihre Flisan oder eins der Hausmädchen aufgeschnitten und aufgetragen haben.
Sie essen, und er fragt sie aus, darüber, wie es ihr geht und wie sie ihre erste Zeit hier im Land der Lappen verbracht hat.
Dann wird das Paket geöffnet. Sie spielt an der Schnur herum, wickelt das Papier ab und hält dann Sigmund Freuds Traumdeutung in der Hand.
Doch, von diesem Buch hat sie gehört. Unsere Träume sind keine Botschaften von unseren Ahnen oder den Göttern, sondern entlarven unsere verbotenen Wünsche.
Er hat viele Anhänger, das weiß sie. Und noch mehr vielleicht, die ihn als jüdischen Scharlatan abtun.
Die verbotenen Wünsche handeln von sexuellen Dingen. Sie wagt nicht, das Buch zu öffnen, wenn er so dicht neben ihr steht.
»Danke«, sagt sie. »Woher haben Sie gewusst, dass ich Deutsch kann?«
»Sie hatten doch Goethe im Koffer.«
Ja, natürlich. Ihr ist so heiß. Das kommt vielleicht von dem offenen Kamin, denkt sie. Und dem Wein.
Sie lacht auf. Bedankt sich noch einmal. Und aus einem Impuls heraus küsst sie die Titelseite des Buches.
»Sieh an. Ein verbotener Wunsch«, murmelt er und sieht sie verträumt unter halb geschlossenen Augenlidern an.
Da legt sie das Buch auf seinen Schreibtisch.
Ich muss es wohl tun, denkt sie übermütig.
Sie macht einen Schritt auf ihn zu.
Ich bin zu jung, zu schön. Er wird sich niemals trauen.
Und sie legt ihm die Arme um den Hals, küsst ihn, schmiegt
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