Rebellen: Roman (German Edition)
Mehrwertsteuer und Spesen.«
»Das geht in Ordnung«, sagte der Mann, ohne zu zögern. »Seien Sie morgen um 14 Uhr in meiner Kanzlei. Geht das? Dr. Lehmann und Partner. Friedrichstraße 47.«
Dengler schwieg verblüfft.
»Hallo? Sind Sie noch dran?«, fragte der Mann.
»Um 14 Uhr bin ich bei Ihnen.«
***
»Kennt ihr zufällig den Fall Voss?«, fragte er, als er zurück an den Tisch kam.
»Scheußlich«, sagte Olga.
»Dieses Schwein«, sagte Mario.
»Noch gilt die Unschuldsvermutung. Der Mann ist noch nicht verurteilt«, sagte Leopold Harder.
»Könnt ihr mir mal sagen, um was es geht? Ich war drei Wochen nicht da, schon vergessen?«
Harder berichtete: »Einem Berliner Arzt wird vorgeworfen, ein neunjähriges Mädchen umgebracht zu haben. Erst hat er es offenbar entführt. Mehr als zwei Wochen lang wurde das Kind gesucht. Alle Zeitungen druckten das Bild. Die Eltern appellierten im Fernsehen an den Entführer. Fürchterliche Geschichte. Wir hatten jeden Tag irgendeine Story im Blatt. Einige Tage lang bestand die Hoffnung, dass das Mädchen noch lebend gefunden wird. Dann wurde sie gefunden: vergewaltigt und erschlagen. Schon am nächsten Tag wurde dieser Kerl festgenommen: Dr. Voss. Die Zeitung mit den großen Buchstaben war live dabei. Sie brachte ein Bild direkt von der Verhaftung, der Täter mit irrem Gesicht, grüner OP – Schürze, voll mit Blut. Die Beweise sollen eindeutig sein.«
»Was hast du damit zu tun?«, fragte Olga.
»Ich wurde eben von seiner Verteidigung engagiert.«
***
Nach dem Sex stritten sie sich.
»Ich weiß nicht, ob es gut ist, wenn du so einem Kerl hilfst«, sagte sie.
»Ich wollte diesen Auftrag auch nicht. Ich … noch habe ich ja nicht sicher zugesagt.«
»Aber du fährst nach Berlin. Morgen schon. Wir haben uns drei Wochen nicht gesehen. Drei Wochen, Georg. Wir haben einiges aufzuholen.«
»Ich weiß, aber …«
Wie sollte er es erklären?
»Ich hab den Preis um die Hälfte erhöht, aber der Anwalt will mich trotzdem, und jetzt muss ich da hin. Ich höre mir die Geschichte mal an.«
»Was redest du? Sag ab. Das ist einfach. Sag einfach ab.«
»Das geht nicht. Ich hab zugesagt.«
»Weißt du, dass der Kerl voller Blut war, als er verhaftet wurde? Eklig. Er sieht aus wie ein Mörder. Und du sollst keinem Mörder helfen. Keinem Kindermörder, Georg!«
»Vielleicht kann ich ihn sprechen und sehen, ob er lügt. Ich meine, das ist das, was ich gerade gelernt habe. Ich würde mein neues Wissen gern ausprobieren. Wenn er es war, ist der Auftrag ja schnell erledigt, dann bin ich auch schnell wieder da.«
Dengler schwang sich aus ihrem Bett. Er ging in das Zimmer nebenan, wo Olgas Computer standen.
»Du hast ja neue Hardware«, rief er.
»Ja«, sagte sie. »Einen neuen Supercomputer. Auch ich habe mich in der Zwischenzeit weitergebildet. Da du ja nie da bist, kann ich dir leider nichts von dem erzählen, was mich beschäftigt.«
Sie stand nun nackt in der Tür.
»Komm ins Bett und vergiss diesen Mörder.«
»Gleich.«
Er startete die Suchmaschine und buchte den frühen Flug nach Berlin.
Das Buch
Dies ist die Geschichte von Alexander und Paul. Es ist die Geschichte einer ungewöhnlichen Freundschaft zwischen einem Jungen aus begüterten Verhältnissen und einem Kind aus dem Waisenhaus. Es ist die Geschichte eines Verrats. Und die Geschichte einer großen Liebe. Nicht zuletzt erzählt sie von den gesellschaftlichen Umwälzungen der Sechziger- und Siebzigerjahre, von den damit verbundenen Träumen und Hoffnungen und von dem, was davon schließlich übrig bleibt.
Alexander wohnt in dem wohlhabenden Freiburger Stadtteil Herdern. Er freundet sich mit Paul an, der im Eisenbahn-Waisenhort gleich nebenan aufwächst – wenige Meter entfernt, und doch in einer ganz anderen Welt. Jeder entdeckt im anderen das, was ihm zu fehlen scheint. Der eine ist der Spiegel des anderen. Aus unterschiedlichen Motiven engagieren sich die beiden jungen Männer schließlich in linken Bewegungen. Alexander sucht Freiheit, Paul will soziale Gerechtigkeit. Da taucht Toni auf, die Frau ihres Lebens. Das Schicksal führt sie zusammen und wieder auseinander. Sie landen im Heute. Und alle drei Figuren müssen entscheiden, wie sie mit den Idealen der Jugend umgehen wollen. Soll man retten, was davon übrig geblieben ist? Oder sind sie ein Panzer, den es zu sprengen gilt?
Am Beispiel von Alexander, Paul und Toni untersucht Wolfgang Schorlau die Anatomie der Rebellion, überzeugt davon, dass ihre
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