Rebellen: Roman (German Edition)
Füssen einen schnellen Rhythmus auf das Parkett des Wartezimmers.
Bum –
bumbumbum –
bum –
bum –
bumbum.
I ---
can’t get no ---
sa ---
tis ---
faction.
Was treibt Toni eigentlich so lange in dem Therapieraum? Seit einer halben Stunde sitze ich in diesem verfluchten Wartezimmer. Warum sagt Sonja ihr nicht, dass ich auf sie warte. Die magersüchtigen Gören können doch wohl einen Augenblick warten.
Seit sechs Jahren behandelte Toni magersüchtige Mädchen, und die lächerlichen Sorgen dieser Mädchen trieben sie mehr um als seine.
Ab einem gewissen Stand von Ehe und Konto richteten reiche Männer ihren Frauen Boutiquen oder Galerien ein. Dann waren sie beschäftigt. Aber Toni hinter der Theke mit einem Glas Champagner in der Hand, eine Stammkundin beratend: dieses Kleid, dieser Rock, dieses Kostüm, diese Bluse, wie für Sie geschaffen. Wirklich, bei Toni ging das gar nicht.
Er hatte ihr stattdessen die Praxis in der Kaiser-Joseph-Straße eingerichtet. Mitten in der Stadt. Alles sehr hell. Alles sehr schön. Nuss- und Kirschbaumholz. Die Markthalle war nur wenige Meter entfernt, sie liebte die Stände der Asiaten, deren scharfes Curry ihr Fernweh linderten. Seither gingen diese schrecklichen magersüchtigen, diese kotzenden undfressenden und dann wieder kotzenden Mädchen bei ihr ein und aus, junge Dinger, die sich die Arme aufschlitzten und weiß der Teufel was sonst noch machten. Deren Nöte schafften es bis an ihren Frühstückstisch.
»Stell dir vor«, sagte sie zu ihm, der sich davon nichts vorstellen wollte, »das Mädchen wäre fast gestorben, aber es hat noch nie ein Gespräch, ein ernsthaftes Gespräch mit ihrer Mutter geführt, eines, bei dem sie ihre Qualen losgeworden ist, verstehst du?«
Ihn interessieren Magersüchtige nun mal nicht. Ihm war es egal, ob ihre Patientinnen fraßen oder hungerten oder sich die Arme aufschlitzten. Aber es war nun mal Tonis Ding. Und er liebte seine Frau. So ertrug er ihre eigentümliche Leidenschaft für abgemagerte Mädchen, wie andere Leute schlechtes Wetter ertragen.
Dass die Patientinnen zu der Sorte Freiburger Radfahrer gehörten, deren pure Masse ihn täglich provozierte, kam dazu. Er hatte nichts gegen Radfahrer, aber in dieser Stadt gab es eindeutig zu viele davon. Wie Hunnenhorden streiften sie durch die Stadt. Am schlimmsten war, dass sie dachten, sie seien die besseren Menschen. Alles für eine gesündere Umwelt. Als sei er krank, weil er Porsche fuhr. Früher hatten junge Männer ältere wegen der Autos beneidet. Das war eine normale, eine gesunde Reaktion. Er hatte sich früher auch die Nase platt gedrückt an den Schaufensterscheiben des Geschäftes in der Habsburgerstraße, das Lotus, MG Spider und wie die wunderbaren englischen Sportwagen hießen, führte. Die britischen Automarken gab es nicht mehr, und in dem Laden war jetzt irgendetwas anderes. Vermutlich ein Fahrradgeschäft.
Er hatte Toni korrumpieren wollen. Zugegeben. Er wollte nicht immer allein der Lump sein. Wenn er ehrlich war, war das der wirkliche Grund dafür, dass er ihr den Cayenne geschenkt hatte.
»Den gibst du wieder zurück, ich setz mich da nicht rein.«
»Warum nicht?«
»Ich bräuchte dann nur noch die Haare blondieren, dann wäre das Klischee perfekt.«
»Welches Klischee?«
»Porsche fahren ältere Herren, mit Geld, aber eher kleinwüchsig. Oder blondierte Tussen, auch nicht gerade jung.«
»Ich bin nicht kleinwüchsig.«
Sie lachte und küsste ihn. »Das immerhin nicht«, sagte sie.
Porsche nahm den Cayenne wieder zurück. Nun zockelte sie weiterhin in dem alten Volvo in ihre Praxis. Als wäre ein alter Volvo kein Klischee.
Paul würde das freuen. Er wäre heute einer, der gemütlich radelnd die Innenstadt verstopfen würde. Paul! Paul, den er nicht loswurde. Paul, der ihm jetzt aus der Hölle seinen Sohn schickte. Ob Paul in der Hölle schmorte? In einer Ökohölle wahrscheinlich. CO 2 -frei. Steckte auf fair gehandelten und nachhaltig produzierten Spießen. Das Feuer in Pauls Hölle wurde mit bei Vollmond geschlagenem, natürlich gewachsenem Holz angeheizt. Des Teufels Großmutter besorgte sich ihre Wollsocken aus einem Rapunzelladen.
Warum wurde er Paul nicht los? Wurden jetzt, nach so vielen Jahren, die alten Rechnungen präsentiert? Manchmal, wenn er Luka zusah, seinem ältesten Sohn, musste er an Paul denken. Komisch. Beide hatten diesen ausladenden Gang, die gleiche Art, die Beine weit nach vorne zu werfen, als bewegten sie sich auf einem
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