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Rebellen: Roman (German Edition)

Rebellen: Roman (German Edition)

Titel: Rebellen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schorlau
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Flur.
    Moppel brachte Didi und Nobbi mit.
    »Da ist ja Paulchen, der gefürchtete Schläger.«
    Paul trocknete sich gerade die Hände ab und versuchte, sich das Zittern nicht anmerken zu lassen. »Ihr kommt gerade rechtzeitig. Alle drei Boxen sind frei.«
    Wenn er schnell war, konnte er sich vielleicht an den Jungen vorbeizwängen.
    Keine Chance.
    Didi grinste: »Ich muss pissen, wirklich.« Er öffnete die zweite Tür.
    »Bleib hier, du Idiot«, fauchte Moppel ihn an.
    Didi schloss erschrocken die Tür.
    »Hast deinen witzigen Tag heute«, sagte Moppel leise zu Paul.
    »Nein, eigentlich nicht.«
    Paul war auf der Hut, aber Moppel schlug so schnell und so kräftig gegen Pauls Brust, dass er zurückstolperte und mit dem Rücken gegen die Tür fiel.
    »Hau ihm noch eine rein, Moppel«, rief Nobbi.

    »Lasst mich vorbei, sonst sag ich’s der Wackenhut.«
    »He, der Kleine will petzen.« Didi grinste immer noch.
    »Mach schon, Moppel, hau ihm eine rein«, rief Nobbi.
    Aus dem Stand rannte Moppel los, und unter seinem Gewicht ging Paul zu Boden.
    Später, als die drei Jungen gegangen waren, lag Paul auf den kalten Kacheln des Toilettenbodens. Er drehte sich auf den Rücken, starrte auf die sinnlosen Muster des Deckenputzes, drückte mit der Zunge von innen gegen die Unterlippe, um das Zittern zu beenden und das Zucken der Mundwinkel nicht zum Heulen ausarten zu lassen.
    Ich will hier weg.
    Ich will nach Hause zu meiner Mami. Ich will zu meiner Mami.
    Er zog die Rotze hoch.
    Das Zucken in seinen Mundwinkeln wurde stärker. Er drückte von innen mit der Zunge fester dagegen an.
    Ich werde hier abhauen. Einfach abhauen.
    Mit beiden Händen griff er nach seiner Unterhose, die sich um seine Waden geschlungen hatte, und zog sie nach oben.
    Dann gab er sich selbst einen Schwur, den er nie wieder vergessen wollte: Wenn ich groß bin und zu den Starken gehöre, werde ich nie, nie, nie Schwächere quälen. Ich schwöre es, ich schwöre es. Niemals werde ich Schwächere schikanieren. Ich schwöre es beim lieben Gott. Ich werde anders sein als die Kinder hier.
    Er wischte sich die Tränen aus dem Gesicht, stand auf, zog seine Hose hoch und den Pulli herunter, den Boden wischte er mit Klopapier sauber. Dann ging er hinunter auf den Fußballplatz.

    In den nächsten Monaten ging er Moppel aus dem Weg, so oft er nur konnte. Es gelang ihm nicht immer.

7. Paul
    Eines Tages hatte sich Paul einen Revolver gekauft. Es war eine Schreckschusspistole, genauer gesagt, ein Trommelrevolver, ein tolles Stück, die RG 69 von Röhm. 30 Mark wollte der Junge aus der 9. Klasse dafür haben. Paul schrieb seiner Mutter einen Bettelbrief.
    Jeder Junge hier im Heim hat ein Fahrrad. Nur ich nicht. Alle lachen mich deshalb aus. Ich will auch eins haben. Es gibt eines, das sogar billig ist. Gebraucht. Grün. Ein Fünfgangrad. Das gefällt mir sehr gut. Ein Kamerad aus der Karlschule zieht weg mit seiner Familie in die Berge. Da kann er sein Fahrrad nicht mehr gebrauchen, weil die Berge zu steil sind.
    Brauchst Du wirklich ein Fahrrad? Der Weg zur Schule ist doch gar nicht so weit. Und weißt Du sicher, dass das Rad nicht gestohlen ist? Stell Dir mal vor, ich schicke Dir Geld, und das Fahrrad wird Dir wieder weggenommen. Sind die Eltern Deines Freundes mit dem Verkauf überhaupt einverstanden?
    Liebe Mami, ich brauche 30 Mark. Sonst kann ich hier nicht länger bleiben. Jeder hier hat ein Fahrrad, nur ich nicht. Du hast immer gesagt, dass Du Dir für mich gute Kleider und gute Schuhe vom Mund abgespart hast. Damit die Leute nicht sehen, dass wir so wenig Geld haben. So ist das hier mit dem Fahrrad. Ich brauche es in einer Woche, sonst istder Junge fortgezogen oder er hat es an jemand anderen verkauft. Davon abgesehen geht es mir gut. Ich lerne viel in der Schule. Die Briefmarken sind zu Ende. Vielleicht kannst Du mir noch ein paar schicken. Dein Sohn Paul.
    Drei Tage später kam ein Brief mit 30 Mark und zwanzig Briefmarken. Am Tag darauf gehörte der Revolver ihm.
    Nachts, wenn alle anderen Kinder schliefen, schlich er sich aus dem Schlafsaal. Die Pistole lag eingewickelt in absichtlich mit Scheiße verfärbten Unterhosen in seinem Wäschesack. Es gab keine Schlösser an den Türen, und es wurde gestohlen. Gern hätte er die Pistole Manfred gezeigt, sich mit dem Revolver wichtiggemacht, aber jedes Mal, wenn er ihn zur Seite nehmen wollte, zum Schrank führen und ihn in sein Geheimnis einweihen, überlegte er es sich anders. Stattdessen schlich er sich nachts

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